Kunst für den Küchenschrank

Führung durch die Glaskunst-Ausstellung der Augsburger Künstlerin Ida Paulin im Schaezlerpalais

Nicht ausgeschlossen, dass in so manchem Augsburger Haushalt seit vielen Jahren unerkannte kunsthandwerkliche Kleinode stehen. Und die Chancen stehen derzeit gut, dass derartige Preziosen „wiederentdeckt“ werden. Im örtlichen Schaezlerpalais läuft noch bis Ende März 2024 die Ausstellung „Glaskunst made in Augsburg“, die das Schaffen der Künstlerin Ida Paulin (1880 – 1955) vorstellt. Jetzt besuchte eine Gruppe des Augsburger Presseclubs, geführt vom Leiter der Augsburger Kunstsammlungen Dr. Christof Trepesch, und Ausstellungskuratorin Sarah Klein, die Schau mit über 500 Objekten. Eine wichtige Information vorab für alle, die zuhause im Küchenschrank oder der Vitrine „mal nachschauen“ möchten: Ida Paulin hat ihre Glaskunst-Arbeiten sorgfältig signiert, man achte auf ein kleines Quadrat, welches die Buchstaben „I“ und „P“ enthält.

Zu Beginn des Rundgangs wies Trepesch auf die ungewöhnlich lange Vorbereitungszeit der aktuellen Sonderausstellung hin, die annähernd drei Jahre betragen habe. Deswegen, weil man anfangs vor einer eher überschaubaren Zahl von rund 300 Objekten gestanden habe, die es zu erschließen gegolten habe. Dann seien in der Vorbereitungszeit aus verschiedenen Quellen immer wieder weitere Glas- und andere Kunstwerke aus Paulins Hand aufgetaucht, die man zu sichten und einzuordnen gehabt habe, so Trepesch. Und dann, so Sarah Klein ergänzend, sei man in den Besitz von rund 1200 Zeichnungen und Skizzen gelangt, die der Ausstellung gewissermaßen eine neue Richtung verliehen hätten. Denn unter diesen Dokumenten hätten sich vielerlei Entwürfe und Vorarbeiten befunden, die datiert und von der Künstlerin beschrieben worden seien, was bei der (zeitlichen) Einordnung der dazu passenden Glaskunstwerke entscheidend geholfen habe. Übrigens auch für ein geplantes Werkverzeichnis, welches Klein und Trepesch zum Jahreswechsel in Buchform vorlegen möchten.

Bezüglich des Paulin´schen Schaffens erstreckt sich die Schau chronologisch durch mehrere Ausstellungsräume im Schaezlerpalais. Dabei ist zu erfahren, dass Paulins Anfänge in der Malerei lagen. Von 1902 bis 1906 besuchte sie die Damenakademie des Münchner Künstlerinnenvereins. Aber schon als Studentin hatte die Fabrikantentochter versucht, durch Kunsthandwerk Geld zu verdienen. Holzschatullen dekoriert durch Holzbrenntechnik gehörten ebenso zu ihrem Portfolio wie Hinterglasmalerei, Textilarbeiten – oder eben Glaskunst. Ihre Arbeiten vertrieb Paulin, die später eine Werkstatt in Augsburg betrieb und bis zu sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt hatte, vor allem über Messeauftritte. Dort präsentierte sie ihre Entwürfe, die später je nach Bestellungseingang ausgeführt wurden. Eine Maxime Paulins sei es gemäß der Haltung zu ästhetischer Bildung in jener Zeit gewesen, so Museumschef Trepesch, „gutes Kunsthandwerk unter das Volk zu bringen“. Entsprechend waren Paulins Werke in den seltensten Fällen reine Luxus-Artikel, sondern sie hatten stets den Anspruch, als Gebrauchsgegenstande bei ihren Mitmenschen Verwendung zu finden. Die Arbeitsweise der Künstlerin, so die Ausstellungsmacher, habe sich in Sachen Glaskunst im Laufe der Zeit wenig verändert. Man wisse, dass Paulin bei mindestens drei spezialisierten Glasbläsereien die „Rohlinge“ für ihre Arbeiten bestellt hatte. Das konnten klare Gläser sein ebenso wie „Eisglas“ oder tiefblaues Kobaltglas. Mit einer speziellen Arbeitstechnik und unter Zuhilfenahme von Flusssäure trug sie alsdann ihre Farben auf und brannte die Gläser erneut. Dabei entstanden bunte Deckeldosen ebenso wie Vasen in unterschiedlichsten Formen, Farben und Größen, Lampen, Teller, Tassen oder allerlei andere Trinkgefäße.

Die vielfältige Arbeitsweise Paulins charakterisiert, dass sie stets auch über ihren Tellerrand schaute und entsprechende Aufträge erledigte. So stammen aus ihrer Feder Entwürfe für die Porzellanmanufakturen wie Arzberg oder Hutschenreuther. Vielleicht ja auch deswegen, weil Paulin aus einem unerschöpflichen Reservoir an Ideen für Gestaltungen und Dekore schöpfte? Exotische Anleihen wie jene bei japanischer oder italienischer Kunst gehörten ebenso dazu wie der Rückgriff auf traditionelle volkstümliche Entwürfe (beispielsweise Märchenfiguren, Jazzmusiker oder Trachtenträger) – oder abstrakte Gestaltung.

Und dann die Frage nach der Rolle, die Paulin und ihre Kunst in der Zeit des dritten Reiches gespielt hatte. Die Künstlerin sei nie Mitglied der Partei gewesen, habe man feststellen können, so Trepesch. Auch seien von ihr (bislang) Arbeiten in der vom Nationalsozialismus bevorzugten Stilistik nicht zu finden gewesen. Wie die Künstlerin möglicherweise in dieser Zeit dennoch habe zurecht kommen können, zeigt eine Auswahl von ausgestellten Postkarten, die sie gestaltet hatte, und die fraglos zum Zeitgeist passten. Zu den späteren Arbeiten Paulins gehörten auch Kooperationen mit (großen) damaligen Wirtschaftsunternehmen. So zeigt die Ausstellung Entwürfe für die Radiofirma Saba ebenso wie solche für Pfaff-Nähmaschinen oder für Helgoland-Tourismus.

Die vielen bunten, dekorativen Stücke treffen ganz offensichtlich auch heute noch den Geschmack vieler Menschen – und so fügte es sich, dass es im Speicher der Mobilfunk-Kamera manch eines der Besucher aus der Presseclub-Gruppe im Laufe des Rundgangs immer voller wurde.

Die Ausstellung ist zu sehen (noch bis Ende März 2024) im Schaezlerpalais Augsburg, Maximilianstraße 46, Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr.

Michael Siegel


Fotos: Klaus Rainer Krieger