„Journalisten müssen mehr zuhören!“

Stefan Hilscher, Sprecher der Digitalpublisher und Zeitungsverleger in Deutschland, äußerte sich im Augsburger Presseclub zu Herausforderungen von  Medienunternehmen und nahm kein Blatt vor den Mund

Die Medienbranche vermeldet mit einer bisweilen erstaunlichen Beständigkeit „bad news“, wenn es um die Zukunft der eigenen Zunft geht. Sinkende Erlöse, Desinteresse junger Menschen an der gedruckten Zeitung, öffentlich-rechtliche Konkurrenz, übermächtiges Social Web. Ist die Lage wirklich so aussichtslos?

Der Augsburger Stefan Hilscher, neuer Mann an der Spitze des Bundesverbandes Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDVZ), teilt den Pessimismus vieler Medienschaffender nicht. „Guter Journalismus hat Zukunft“, sagte er im Augsburger Presseclub, wo er über die Herausforderungen der Branche sprach. Große Medienhäuser wie Süddeutsche, Zeit, Spiegel oder Frankfurter Allgemeine hätten dank des digitalen Wachstums zusammen mit Print eine Reichweite und so viele Abonnenten wie nie zuvor in ihrer Geschichte. Das hätte der überwiegende Teil der Zuhörerschaft im Clublokal Georgenkeller anders eingeschätzt, verrieten die überraschten Gesichter. Hilschers Aussage, und hier kommt die Einschränkung, bezieht sich auf Medienunternehmen, die mit ihren digitalen Angeboten den gesamten deutschsprachigen Raum nutzen können. Sie seien mit ihren digitalen Erlösen schon weiter. Für regionale Zeitungen seien Zuwächse wegen geografischer Grenzen ungleich schwieriger zu erzielen. Doch es sei möglich.

Die Frage, wie sich der Journalismus entwickelt, nahm den größten Raum in dem fast zweiständigen Talk ein. Als gelernter Journalist (bei der Augsburger Allgemeinen) und nach Stationen als Verlagsmanager in Köln, Berlin, dann als Geschäftsführer des Süddeutschen Verlags, der die SZ herausgibt, und nun an der Spitze der deutschen Zeitungsverleger kann Hilscher mitreden. „Ein Riesenprojekt“ des Verbandes nennt sich „Drive“. Mit an Bord: dpa und die Unternehmensberatung Schickler. Es geht um Fragen, die in den Redaktionen nicht neu sind, doch immer wieder gestellt werden müssen: Was wollen die Leute lesen. Wie können die gewonnenen Erkenntnisse in den Redaktionen umgesetzt werden. Was macht modernen Journalismus aus.

„Journalistinnen und Journalisten müssen mehr zuzuhören“, warf Hilscher kritisch ein. Und setzte noch eins drauf: „Wir hören nicht mehr zu!“ Dies ist zwar ein allgemeiner gesellschaftlicher Trend, nicht mehr miteinander, sondern übereinander zu sprechen und sich in Milieus und Blasen abzugrenzen. Für Medien könne eine eingeschränkte Sicht, die einen erheblichen Teil der Menschen nicht mehr anspreche, wirtschaftlich schlimm enden. Zu polarisierenden Themen favorisiert er Pro- und Contra-Kommentare, weil dies einen Austausch von guten Argumenten und damit objektivere Meinungsbildung ermögliche. Hilscher ist ein Verfechter der These, journalistische Kernkompetenzen zu stärken. Für Lokalzeitungen bedeute dies, in fundierte regionale Berichterstattung zu investieren mit Hintergründen, Analysen und auch mit investigativer Herangehensweise. Damit eine stetige Personalvermehrung in den Redaktionen zu begründen, ist seine Sache nicht. Vielmehr sei es notwendig, Ressourcen neu zu bündeln, weil journalistische Angebot immer finanzierbar bleiben müssten. Die Wirklichkeit schaue oft so aus: „Journalisten machen immer mehr, ohne etwas anderes wegzulassen. Das kann nicht funktionieren.“ Wer das Leserinteresse in den Mittelpunkt stellte, finde viele Möglichkeiten, die Berichterstattung auf Nutzwert und damit auf das zu konzentrieren, was den Leuten wirklich auf den Nägeln brennt.

Medienpolitische Forderungen des Bundesverbandes der Digitalpublisher und Zeitungsverleger kamen ebenfalls zur Sprache: Eine staatliche Zustellförderung für gedruckte Zeitungen als unverzichtbare Elemente des demokratischen Systems. Am teuersten sei heute nicht mehr die Redaktionen, sondern der Vertrieb. Außerdem soll der Staat auf Mehrwertsteuer für Presseprodukte verzichten (derzeit sieben Prozent). Sowohl bei Zustellförderung als auch bei der Null-Besteuerung seien andere Länder in der Europäischen Union Deutschland voraus. Kritisch sehen die Verleger presseähnliche, weil textlastige Angebote des gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Hilscher spricht sich für klare Regeln aus, damit wirtschaftlich finanzierter Journalismus nicht weiter enormen Wettbewerbsnachteilen ausgesetzt sei.

Alfred Schmidt


Foto: Wolfgang Bublies