Umgekehrte Malerei

Zu Besuch in der Hinterglasbild-Ausstellung „Vorsicht zerbrechlich“ im Augsburger Schaezlerpalais –

Nur kurz nicht aufgepasst, fällt das Bild herunter, zerbricht, ist unwiederbringlich verloren. Aber nicht dieser Nervenkitzel war es, der Künstler und Auftraggeber seit dem 15. Jahrhundert an Hinterglasbildern interessierte. Alles Rund um das Thema Hinterglasmalerei erfuhren jetzt Gäste des Augsburger Presseclubs beim Besuch der Ausstellung „Vorsicht zerbrechlich“ im Schaezlerpalais, die insgesamt rund 150 Werke hinter Glas zeigt. Allesamt entstammen sie der Sammlertätigkeit des Unternehmers Prof. Wolfgang Steiner und seiner Ehefrau Gisela, die Teile aus ihrer über 40-jährigen Sammlertätigkeit kürzlich feilboten, weswegen die Bilder jetzt von den Augsburger Kunstsammlungen gezeigt werden können. Das besondere der Augsburger Schau: Sie zeigt nicht nur die Original-Glasbilder, sondern sie zeigt in vielen Fällen auch die Vorlagengeschichte des Hinterglasbildes. Denn, so erklärte Dr. Christof Trepesch, Leiter der Augsburger Kunstsammlungen, den Gästen: Hinterglasbilder entstanden seinerzeit in sehr vielen Fällen nicht, indem der Künstler gegenüber seinem Objekt saß und zu malen begann. Zumeist entstanden sie dergestalt, dass sie von Malern, Handwerkern also, nach einer Vorlage geschaffen wurden. Und so zeigt die Schau im Schaezlerpalais manchmal gar zwei Vorläufer eines betreffenden Hinterglasbildes. Welche fundierte Kenntnis der eigenen Bilder doch eine derart gründliche Sammlertätigkeit vermuten lässt. Beispiel: ein Bild, das eine Szene von einem „Südlichen Hafen bei Sonnenaufgang“ zeigt. Direkt bei dem Hinterglasbild, das auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts datiert wird, hängen sowohl dessen mutmaßliche Vorlage, ein Kupferstich desselben Motivs und hängt auch ein Ölbild aus noch etwas früherer Zeit, das wohl die Vorlage für den Kupferstich war.Warum aber Bilder hinter Glas, nicht etwa auf Tafel oder auf Leinwand? Hauptgrund für das Aufkommen der Hinterglasmalerei dürfte nach Worten von Museumschef Trepesch gewesen sein, dass diese Bilder aufgrund ihres Glas-Materials seinerzeit etwas besonders Teures, Wertvolles waren. Das Glas früher Bilder, die nördlich der Alpen gemalt worden waren, stammte aus Italien, stammte aus Venedig, nachdem Glasherstellung jenseits der Alpen zunächst noch nicht verbreitet gewesen sei. Dass die Bilder mit speziellem Glanz brillierten, dass sie sogar feucht abgewischt werden konnten, das sei eher nachrangig gewesen.

Der Begriff „Hinterglasmalerei“ umschreibt die Technik, ein Motiv auf die Rückseite eines gläsernen Bildträgers aufzutragen. Da die Betrachtung von der Vorderseite durch die Glasplatte hindurch erfolgt, wird die Darstellung im Vergleich zur Tafelmalerei „rückwärts“ gemalt, so Dr. Trepesch. Dies berge verschiedene Schwierigkeiten, denn zuerst werde der Vordergrund mit Details, Konturen- und Umrisslinien angelegt, erst danach folgen Mittelgrund, etwa Gewänder und zuletzt Hintergrund wie Landschaft und Himmel. Anders als bei der Tafelmalerei können während des Malprozesses keine Korrekturen vorgenommen werden. Zudem erscheint das Motiv für den Betrachtenden seitenverkehrt, was bei der Konzeption der Komposition berücksichtigt werden muss – und was beim Vergleich eines Glasbildes mit seiner Vorlage in der aktuellen Ausstellung immer wieder festzustellen ist. Zwar wurde die Technik der Hinterglasmalerei bereits in der Antike zur Dekoration von Schmuck und Gebrauchsgegenständen angewandt. Ihre Blütezeit erlebte sie jedoch in der Zeit von 1550 bis 1850. Durch die damalige Kostbarkeit des Rohmaterials Glas waren die Hinterglasbilder des 16. Jahrhunderts noch einem kleinen, wohlhabenden Publikum vorbehalten. Dies änderte sich jedoch im Laufe des 17. Jahrhunderts: Glas wurde preiswerter und so fanden Hinterglasbilder als Wandschmuck bald Verbreitung in den Häusern des Bürgertums und später gar in der Volkskunst des 19. Jahrhunderts. Die frühesten in der aktuellen Ausstellung gezeigten Arbeiten stammen aus Tirol und dem Veneto des 16. Jahrhunderts. Dort stand in der Zeit um 1550 erstmals farbloses Flachglas als Träger für Hinterglasgemälde zur Verfügung. Während die frühesten Hinterglasbilder religiöse Motive zeigen, traten im 17. und 18. Jahrhundert Stillleben, Portraits und anderes hinzu. Im 19. Jahrhundert fand die Hinterglasmalerei laut Trepesch zunehmend in der Volkskunst Verbreitung: Kleinformatige Bilder gaben die Gnadenbilder berühmter Wallfahrtsorte wieder und dienten so beispielsweise als Andenken an Pilgerfahrten. Schutz und Hilfe versprachen zudem die Darstellungen von Namenspatronen, die gar in Serie produziert wurden. Augsburg war nach Trepeschs Worten im 18. Jahrhundert eine der bedeutendsten Produktionsstätten für Hinterglasmalerei. Begünstigt durch die Bedeutung der Stadt als Zentrum druckgrafischer Erzeugnisse, stand den Augsburger Hinterglasmalern ein reicher Vorlagenschatz zur Verfügung. Die typischen Augsburger Hinterglasmalereien bestehen aus lasierenden Ölfarben mit gedämpften Brauntönen und vorwiegend rötlichen Kontrasten. Eine besondere Rolle nehmen dabei die Stadtveduten Johann Wolfgang Baumgartners (1702 bis 1761) ein, die in einer aufwendigen Farbradierungstechnik entstanden. Baumgartner, einer der wenigen namentlich bekannten Augsburger Hinterglasmaler, kratzte gemäß Trepeschs Beschreibung aus der Farbschicht bestimmte Linien und Konturen wieder heraus, die schließlich erst durch den Bildhintergrund Farbe bekamen. Ein Teil der Steiner- Sammlung soll künftig in die Dauerausstellung des Schaezlerpalais aufgenommen werden.

Michael Siegel


Fotos: Klaus Rainer Krieger

Die Ausstellung „Vorsicht, zerbrechlich“ präsentiert rund 100 Hinterglasbilder aus der bedeutenden Sammlung von Gisela und Prof. Wolfgang Steiner im Schaezlerpalais, erläutert von Dr. Christof Trepesch, Leiter der Kunstsammlungen.