Zeitenwende

Drei aktuelle Abende zu Themen, die uns alle belasten
 

„Zeitenwende“ nannte der Augsburger Presseclub eine dreigeteilte Veranstaltungsreihe zur aktuellen Situation, „die uns alle belastet“. An drei Abenden ging es jeweils im S-Forum der Stadtbücherei um die Themenschwerpunkte Energie, dann um die Sorgen des Mittelstands und schließlich um das Thema Armut. Für jeden Abend waren fachkundige Experten eingeladen, miteinander und mit den Gästen zu sprechen und zu diskutieren. Es moderierten Marion Buk-Kluger, Wolfgang Bublies und Alfred Schmidt, alle aus dem Presseclub-Vorstand.


Energie

Gäste am ersten Abend waren Stadtwerke-Energieexperte Ulrich Längle, Bäcker-Obermeister Peter Mück sowie Brauereichef Sebastian Priller-Riegele. Mück und Priller berichteten übereinstimmend von Kostensteigerungen in allen Bereichen, speziell auf dem Energiesektor, aber auch sonst. Zucker und Butter zum Beispiel sind doppelt so teuer, Mehl und Gerste sind beim Preis ebenfalls um 100 Prozent gestiegen, Rohstoffe fehlen oder es gibt sie nur noch mit enormen Preiserhöhungen. All diese Mehrkosten lassen sich bei weitem nicht an die Kundschaft weitergeben. So manche Firmen, gerade kleinere Unternehmen, kämpfen um ihre Existenz.
 
Trotz höherer Preise, wachsen die Belastungen gerade auch für moderne Unternehmen, die bereits bislang auf neue Verfahren gesetzt haben und jetzt dennoch neue Wege aus der Energiekrise suchen müssen. Man habe zwar, so Priller, schon viel getan, um unabhängiger zu werden, nachdem man sich speziell in der Politik vor der Krise zu wenig um den Strom- und Gasmarkt gekümmert hatte. Jetzt gelte es, alle Möglichkeiten zur Energiegewinnung zu nutzen – auch die Kernkraft. Man müsse jeden Strohhalm nutzen. Ziel sei es, deutlich unabhängiger zu werden.
 
Man werde aber auch nicht drumherum kommen, bei den Produkten über Einsparungen nachzudenken – nicht bei der Qualität, aber etwa bei der Angebotsvielfalt. Bäckermeister Mück zeichnete auf, dass etwa die Zahl der Brot- und Semmelsorten reduziert werden müsse. Und so mancher Betrieb, der Corona gerade noch gemeistert hat, denkt jetzt in dieser energie-intensiven Branche auch ans Aufhören. Mück berichtete auch von Kollegen, die versuchen, kostengünstiger zu backen, was viele wegen hoher Investitionskosten nicht umsetzen können. Und er schließt letztendlich nicht aus, dass 2023 die Breze bald 1 Euro kosten wird.
 
Einen Blackout fürchtet Energieexperte Längle nicht, wie er sagt. Kurzzeitige Probleme könne er aber nicht ausschließen. Der Fachmann der Stadtwerke Augsburg (swa) berichtet von zahlreichen energieeffizienten Lösungen, welche von den swa verfolgt würden – schon vor der Krise. Energiesparen und auf umweltfreundliche Lösungen umstellen, sei gerade in Augsburg schon lange eine Thema der swa. So berichtete Längle davon, wie Wasserstoff erzeugt werden könnte und welche Wege es auch vor Ort geben könnte, um Energie zu sparen bzw. auf neuen Wegen zu erzeugen. Beachtet werde dies etwa auch bei der Altbausanierung. Wohin die Energiekosten laufen, lasse sich derzeit kaum abschätzen, zumal teils noch unklar ist, wie staaliche Hilfen ausfallen und was sie bewirken. Unsichere Zeiten also. Dennoch sind sich Längle, Mück und Priller einige, dass man in Schwaben auch diese Krise meistern kann. 


Mittelstand

Ein beängstigendes Firmenschicksal schilderte am zweiten Abend Mittelständlerin Charlotte Buhl, mit ihrem Ehemann Hermann Inhaberin der Buhl Gruppe, Deutschlands größtem Personaldienstleiter im Gastronomiesektor. Seien es 2019 vor Corona 4800 angestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewesen, so sei die Beschäftigungsgrundlage für diese Menschen während Corona nahezu völlig weggefallen. Keine Messen mehr, keine Tagungen, keine Empfänge oder vergleichbare Großveranstaltungen, die die Buhls vorher mit ihrem Servicepersonal durchgeführt hatten. Von 50 Standorten deutschlandweit sei die Hälfte geschlossen worden, inzwischen verfüge man noch über knapp 2000 Beschäftigte. Weil die Buhls mit Personal auch Kantinen ausstatteten und diese in der Pandemie offiziell nicht geschlossen wurden, habe man lange Zeit keine staatlichen Hilfeleistungen erhalten. Ausweg: Alles, was verfügbar war, sei zu Geld gemacht worden, um Personal zahlen zu können. So wurde ein Fuhrpark mit 200 Autos verkauft.

Und jetzt? Der Ukraine-Krieg sei für ihren Unternehmenserfolg unmittelbar eigentlich kein Thema. Sehr wohl aber die Situation, die er aktuell verursache. Menschen hielten ihr Geld zusammen, es herrsche eine hohe Inflation, es herrsche wirtschaftliche Unsicherheit. Freilich bewirke dies eine schwierige Lage.

Sehr differenziert zu sehen sei die Situation mehr als zwei Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie im Handwerk, so Ulrich Wagner, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Augsburg und Schwaben. Während in manchen Branchen wie der Produktion oder auf dem Bau nahezu ungehindert weitergearbeitet werden konnte, hätten die sogenannten „körpernahen Dienstleistungen“ wie Friseure, Kosmetikerinnen, Augenoptiker, sehr gelitten. Dass der Mittelstand dennoch relativ gut durch die Pandemie kam, sei nicht zuletzt staatlichen Hilfen zuzuschreiben. Aber: Viele Unternehmer seien von der Pandemie persönlich, menschlich, emotional tief betroffen worden. Wer es gewohnt sei, sich und seinem Betrieb aus Schwierigkeiten mit Eigenkreativität selbst herauszuhelfen, tue sich sehr schwer mit der Erkenntnis, Politik und Staat völlig ausgeliefert zu sein.
 
Dieser Tage seien Energieprobleme existenzbedrohend für viele Branchen im Mittelstand, etwa für Bäcker, Metzger, Industriezulieferer, Industrie-Reiniger. Staatliche Unterstützungen, so Wagner, seien bislang nur Ankündigungen, seit einem Jahr sei so gut wie nichts in der Umsetzung. Solche Signale, die für viele Endverbraucher „unangenehm“ seien, ließen viele Unternehmer völlig im Nebel stehen. Viele Unternehmer gehörten zudem der Altersgruppe 60 plus an und stünden aktuell vor der Frage „Betriebsübergabe mit (kostenspieliger) Modernisierung“ oder „Schließung“. Seine Forderung an die Politik: Unbedingt schnellstmöglich Klarheit schaffen. Unklarheit sei für Unternehmen Gift. Und überall wo es möglich ist, fordere das Handwerk den Staat auf, sich herauszuhalten. Unternehmer seien selbst die besten Unternehmer. Allenthalben sehe man vonseiten der Politik „blinden Aktionismus“, Taten fehlten aber weithin. Wagners Forderung: Erst gründlich nachdenken, danach Maßnahmen kommunizieren und diese zügig umsetzen.

Mitten in die Pandemie hinein geraten sei die neue Augsburger Stadtregierung, was auch ihn selbst betreffe, so   Wirtschaftsreferent Wolfgang Hübschle. Zuständig auch für das Marktwesen, Schausteller, Einzelhandel, Tourismus, das Kongress- und Messewesen, sei sein Amt stark gefordert. Am Ende von Corona hätten alle durchgeschnauft, auch weil die erste Krise mit staatlichen Hilfen durchgestanden worden sei. Umso bedrückender, dass man inzwischen einer zweiten (Krieg) und dritten Krisenwelle (Energie) ausgesetzt sei. Auch Hübschle kritisierte staatliches Vorgehen, wenn man etwa auf das im Nachgang zum Neun-Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr geplante 49-Euro-Ticket blicke: Aus Sicht der betroffenen Kommunen müssten schleunigst alle Unklarheiten beseitigt werden, damit man als Kommune planen und sich anpassen könne. Man sollte „nicht alles machen, aber dafür manches schnell und richtig.“

Gefragt nach Möglichkeiten der Stadt, betroffenen Unternehmen, Mittelständlern, zu helfen, zeigte Hübschle Erleichterungen für Veranstaltungen auf, indem man etwa Schutzbestimmungen in Sachen Lärm reduziert oder Freiraum für Gastronomie oder Schausteller geschaffen habe. Inzwischen hätten aber verschiedene Erleichterungen aufgrund erheblicher Bürgerbeschwerden zurückgenommen werden müssen. Die Stadt und ihre städtischen Stellen versuchten nach wie vor, gute Stimmung zu machen, der Gegenwind habe aber erheblich zugenommen.


Armut

Um eine andere Form existenzieller Not ging es am dritten Abend der Gesprächsreihe. Unter dem Titel „Wer soll das bezahlen? Neue Armut durch Energiepreise und Inflation“ ging es diesmal um die Not des Einzelnen, die, wie sich zeigte, mehr und mehr in der Bevölkerung ankommt. Von zwei Seiten sieht Roswitha Kugelmann, Gründerin des Sozialkaufhauses in Haunstetten, die Angelegenheit. Da seien auf der einen Seite ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, vielfach Menschen, denen man im Sozialkaufhaus eine neue Berufs-Chance zu geben versuche. Menschen, die, obwohl das Sozialkaufhaus als Arbeitgeber den Mindestlohn bezahlt, mit ihrem Geld häufig kaum auskämen. Beratung in finanziellen Fragen sei bei ihnen oftmals ebenso wichtig wie bei vielen Gästen.
 
Auf der anderen Seite werde das Kaufhaus in diesen Zeiten geradezu überrannt von mindestens 500, an manchen Tagen von bis zu 900 Kunden. Zuletzt seien dem Kaufhaus, das von gebrauchter Kleidung über Elektrogeräte oder Spielsachen nahezu alles anbietet, was von anderer Stelle aussortiert worden war, sogar die Betten ausgegangen – etwas, was es in den über 20 Jahren des Bestehens noch nie gegeben habe. Selbst Schuhe, die viele Menschen wohl aus hygienischen Gründen lange Zeit nicht aus zweiter Hand hätten kaufen wollen, seien jetzt nachgefragt. Und dabei seien viele ihrer Kundinnen und Kunden noch gar nicht die am meisten Bedürftigen: 6,40 Euro koste es inzwischen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln aus der Innenstadt zum Sozialkaufhaus nach Haunstetten zu fahren. Eine Ausgabe, die sich manche Menschen laut Kugelmann nicht mehr leisten könnten, weil sie dafür lieber Lebensmittel kaufen.

Solche und ähnliche Fälle sind das „tägliche Brot“ von Arnd Hansen, Geschäftsführer des Leserhilfswerks „Kartei der Not“ der Augsburger Allgemeinen. Das Hilfswerk hat in seiner Satzung Hilfeleistungen stehen für Menschen, die unverschuldet in Not geraten sind. Hansen schilderte die Notlage des in einer Babyklappe abgelegten Neugeborenen ebenso wie die eines Jugendlichen aus dem Heim, der plötzlich mit 18 ohne Bleibe und ohne Geld dasteht, bis hin zum Senior, der Seniorin, die unvermittelt nach dem Tod des Partners alleine dastehen, und denen wegen Mietsteigerung und Teuerung allmählich das Geld ausgeht. Alles Fälle, bei denen die Kartei der Not finanzielle Ersthilfe geleistet habe. Nicht leichter mache es dem Hilfswerk, dass in der jüngeren Vergangenheit zwar die Bitte um Hilfe zugenommen habe, zurzeit aber das Spendenaufkommen noch verhalten sei. In bald 57 Jahre hat die Kartei der Not über 45 Millionen an Spendengeldern für Bedürftige aufgewandt. Alljährlich können rund 3000 Hilfsgesuche erfüllt werden.

Praktisch täglich in Sache Armutsbekämpfung ist auch Regina Hinterleuthner von der Schuldnerberatung der Caritas unterwegs. Verschuldung, aus welchen Gründen auch immer, sei eines der zentralen Armutsrisiken. Als Erstes gelte es, Betroffenen ihre Existenz abzusichern. Zwar versuche man bei der Schuldnerberatung, mit Ratenzahlungen festen Boden unter den Füßen zu schaffen, aber schnell sei dennoch die Armutsgrenze erreicht. In der Regel gelte es, bei jedem Schicksal „den roten Faden“ zu finden. Miete, Strom, etwas zu essen, müssten zuvorderst finanziert werden. Dazu komme etwa, Pfändungen aufheben. Hier erlebe man derzeit extreme Zunahmen. Und so langsam komme selbst bei ihr und ihren Mitarbeiterinnen Besorgnis auf, was in den Beratungsstellen noch alles bewältigt werden soll. Dabei gelte es in so manchem Fall, schnell zu sein. Denn immer wieder sei zu erleben, dass Menschen unter ihrer Schuldenlast irgendwann den Kopf in den Sand stecken, resignieren, aufgeben. Das gelte es unbedingt zu verhindern.

Bei rund 10.500 Mietwohnungen, die die städtische Wohnbaugruppe bewirtschafte, habe man immer mit einem gewissen Anteil an Mietausfällen zu kämpfen. Dennoch bringt die aktuelle Situation Mark Dominik Hoppe, Geschäftsführer der WBG, nicht in Panik. Man habe zusätzliche 300.000 Euro in die Bilanz eingestellt, um bei eventuell überdurchschnittlichen Ausfällen gerüstet zu sein. Schreckensszenarien, wie sie aus andern Städten zu hören seien, sieht Hoppe nicht. Während die „erste Miete“ also die unmittelbaren Kosten für die Wohnung bei der Wohnbaugruppe relativ stabil sei, erlebe man bei der sogenannten „zweiten Miete“, also den Nebenkosten, teils drastische Steigerungen.
Es bleibe nicht aus, dass die Wohnbaugruppe bei Mietausfällen Räumungsklagen anstrengen müsse. Bezüglich wirtschaftlicher Gründe belaufe sich die Zahl auf etwa 25 im Jahr – bei insgesamt 10.500 Wohnungen. Und, so Hoppe, in vielen Fällen „erlöse“ eine solche Maßnahme ganze Hausaufgänge. Auf der anderen Seite sei es derzeit so schwierig wie kaum jemals, in einer Wohnung der Wohnbaugruppe unterzukommen. Nicht weniger als 8000 Menschen stünden auf der Warteliste. Aber angesichts der aktuellen Situation am Wohnungsmarkt wolle so gut wie niemand ausziehen.

Von einer prinzipiell guten Ausgangslage berichtete Augsburgs Sozialreferent Martin Schenkelberg. Er habe bei seinem Amtsantritt ein funktionierendes Referat übernommen. In Augsburg habe bereits ein recht stabiles soziales Netz existiert. Es habe sich aber die Frage gestellt, wo und wie man in Krisenzeiten nachjustieren müsse. Auf einer Sozialkonferenz im Oktober seien Ideen gesammelt worden und nun habe man in der Stadt einige Projekte in der Pipeline: Schenkelberg nannte Mittagstischangebote und die Einrichtung einer speziellen Telefon-Info-Hotline. Dazu denke man über sogenannte Wärmeinseln für Menschen mit kalten Wohnungen nach, in Zusammenarbeit mit Geschäften, Kirchen, städtischen Einrichtungen. Kompliziert werden könnt es laut Sozialreferent am Januar mit dem neuen Wohngeld, auf das künftig deutlich mehr als die derzeitigen 2500 Personen in Augsburg Anspruch haben können. Bei der Stadt gehe man dafür von einem Bedarf von 30 zusätzlichen Stellen aus, sollte sich die Zahl der Berechtigten vervierfachen. Bei länger dauernden Verfahrenswegen werde man mit Abschlagszahlungen arbeiten müssen.

Michael Siegel


Fotos: Michael Siegel, Robert Linsenmeyer