Krass kundenfreundlich und brutal skrupellos


Der Schweizer Journalist und Buchautor Otto Hostettler berichtete im Augsburger Presseclub über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Darknet

Na ja, ich will ja keine Drogen, Waffen oder Kinderpornografie kaufen, also brauche ich mich auch nicht über das Darknet zu sorgen. Eine derartige, vielfach zu erlebende Einstellung, könnte recht bald ein Trugschluss sein, stellte jetzt Otto Hostettler bei einem Vortrag des Augsburger Presseclub dar. Veranstaltungsort war das S-Forum in der Augsburger Stadtbücherei am Ernst-Reuter-Platz, wo problemlos Infektions-Abstand gehalten werden konnte. Ein Trugschluss deswegen, weil sich nach Worten des Referenten das kriminelle Tun derjenigen, die sich im Darknet tummeln, mehr und mehr auf die Erpressung von Unternehmen, großen und kleinen, und vielleicht ja auch bald von Privatpersonen, fokussiert.

Dieses Darknet – was das überhaupt ist, stand am Anfang des Vortrages des Schweizer Journalisten und Autoren Otto Hostettler, betitelt mit „Darknet – Das blühende Geschäft mit Drogen, Waffen und geklauten Identitäten“. Hostettler zeigte auf, wie man mithilfe des nicht verbotenen Tor-Browsers, einem Programm vergleichbar mit bekannten Browsern wie Google Chrome, Firefox, Microsoft Edge… in diese Schattenwelt Zugang finden kann. Zugang – vielfach verborgen vor Ermittlungsbehörden – den in den vergangenen Jahren vor allem Kriminelle gesucht hätten. Aber nicht nur diese: In vielen Ländern gewähre diese Technik Zugang zu sonst nicht erreichbaren Informationen und bei heiklen Recherchen nutzten auch Journalisten gerne diesen Browser, um anonym zu bleiben. Hostettler präsentierte anhand bekannter Epochen wie der „Silk-Road-Phase“, benannt nach blühendem Drogenhandel vorgeblich von der Seidenstraße, die Entwicklung des Darknet auf.

Der Referent schilderte dabei auch seine eigenen Erfahrungen als Käufer im Darknet. Für seine Recherchen habe er, so Hostettler, verschreibungspflichtige, legale Medikamente gekauft – die bei missbräuchlicher Verwendung Drogenersatz sein könnten – um nicht in Gefahr zu geraten, sich strafbar zu machen.

Dabei, so der Autor, sei ihm aufgefallen, wie serviceorientiert in der Branche gearbeitet werde. „Krass kundenfreundlich“ nannte er, was er mehrfach erlebt habe. Erlebt, wenn es beispielsweise darum ginge, eine unauffällige Lieferadresse für seine möglicherweise kritische Sendung zu finden. Oder wenn es darum ginge, an Bitcoin zu gelangen, jene Währung, die für die Bezahlung im Darknet Standard sei. Aber selbst dann noch müsse man gutgläubig sein, wenn man das, was man im Darknet erworben habe, tatsächlich einnehmen wolle. Im Falle der ihm zugesandten Pillen habe sowohl die Karton-Umverpackung als auch der Kunststoff-Blister gefehlt, wo diese in der Regel eingeschweißt wären. Was man tatsächlich geschickt bekommen habe und welche Qualität das habe, bleibe im Dunkeln.

Geradezu bekannt gemacht habe das Darknet in Deutschland der Anschlag auf das Münchner Olympia-Einkaufszentrum im Jahr 2016, als ein Täter neun Menschen und danach sich selbst erschoss. Erschoss mit einer Waffe, die er sich im Darknet beschafft hatte. Anhand von Präsentationen zeigte der Autor den interessierten Zuhörern die ganze Bandbreite von Angeboten im Darknet. Und er zeigte Entwicklungen und Tendenzen auf, die ihn selbst mit Sorge erfüllten, so Hostettler. Denn im Darknet träfen sich die besten Computer-Kenner, Spezialisten, die sich auch in frei zugänglichen Foren miteinander austauschten. Russisch sei dort oft die vorherrschende Sprache. Manche dieser Hacker seien gewillt, ihre Kenntnisse für kriminelle Machenschaften zu nutzen. Und da mache sich vor allem die Erpressung von Unternehmen breit, nachdem der Internet-Zugang dieser Unternehmen gehackt worden war. Freilich hatte Hostettler auch dafür entsprechende Beispiele parat, die – bis in diesen Tagen – durch die Medien gingen. Gerade diese Entwicklung, Internetzugänge zu „hacken“ und den Eigentümern die Verschlüsselung der gesamten elektronischen Daten anzudrohen, sei aus Sicht des Autoren mit Sorge zu beobachten. Die Steigerung an Vorfällen sei immens. Die Schäden sind es auch, Hostettler nannte aus einer Statistik geschätzte rund 220 Milliarden Euro jährlich allein in der deutschen Wirtschaft. Geschätzt deshalb, weil längst nicht jeder Geschädigte sich der Polizei und der Öffentlichkeit offenbare, sondern immer wieder auch auf die Forderungen der Kriminellen eingegangen und „Lösegeld“ für die Freigabe der eigenen Daten gezahlt werde. Der Autor zeigte auf, dass es bei weitem nicht nur große Unternehmen seien, die angegriffen und erpresst würden. Im Darknet könne man auch Listen mit „gehackten“ Zugängen kleinerer Unternehmen „mit bis zu fünf Rechnern“ (so heißt die entsprechende Kategorie) kaufen, die man weiter bearbeiten könne. Und während es die Hacker bei Großunternehmen mit der Erpressung von Millionenbeträgen versuchten – „man kann auch nachverhandeln“, so der Autor – begnügten sich andere Erpresser mit hier und da 3.000 Euro, wenn die Arztpraxis, Anwaltskanzlei oder das Autohaus seine verschlüsselten Daten wiederbekommen wolle.

Wo das Ganze hinführen werde? Hostettler zeigte sich überzeugt, dass das obere Ende in Sachen Erpressungen aus dem Darknet längst nicht erreicht sei. Hatte der Journalist in seine ersten Buch „Darknet, die Schattenwelt des Internets“ den Grundstein seines Schaffens in diesem Bereich gelegt, soll in seinem neuen Werk – Erscheinung ist 2022 geplant – „Underground Economy – Wie Cyberkriminelle Wirtschaft und Staaten bedrohen“ dieser spezielle Aspekt von Internetkriminalität beleuchtet werden.

Klar, dass es in der folgenden Aussprache mehreren Besuchern um die Frage ging, wie man gegen derartige Machenschaften vorbeugen könne. Hostettler nannte zuvorderst, seine Computer-Programme jederzeit auf dem aktuellen Stand zu halten. Gerade der Umstand, dass selbst renommierte Unternehmen es immer wieder monatelang unterließen, nach dem Bekanntwerden einer Sicherheitslücke in einem Programm, in einer Datenbank Vorsorge zu treffen, – diese Lücke werde selbstverständlich im Darknet zum Kauf angeboten – helfe Kriminellen. Eine weitere wichtige Vorkehrung: Niemals gedankenlos auf Links tippen, die einem tagtäglich via E-Mail zugesandt würden. Nur bei bekannten Absendern könne man sich einigermaßen sicher sein, ansonsten Finger weg, bevor man seinen Computer einer Schadsoftware aussetze. Ganz wichtig: regelmäßige „Backups“ seiner eigenen (Firmen-)Daten. Sicherungskopien also, die – etwa auf einer externen Festplatte – an einem sicheren Ort aufbewahrt werden sollten. Und wenn man doch Opfer von Hackern und Erpressern geworden sei? „Nicht zahlen“, so der Rat des Experten. Selbst wenn man einen Code zum Entschlüsseln seiner zuvor verschlüsselten Daten zugesandt bekomme, habe man keine Gewissheit, dass die Kriminellen nicht weiter mit im Boot seien und alsbald weitere Forderungen folgen würden. Denn, so Hostettler: Internet-Kriminelle, gleich welcher Nationalität, seien „brutal skrupellos“.

Michael Siegel


Fotos: Michael Siegel