Neue Ideen für eine alte Straße gesucht


Was tun nach der Randale-Nacht in der Augsburger Maximilianstraße?
Podiumsdiskussion des Presseclubs in der Feuerwehr-Erlebniswelt im Martinipark

Die Puppenkiste, Bertolt Brecht, der örtliche Fußball-Bundesligist – es gibt so manches, auf das man in Augsburg stolz ist und worüber man gerne Schlagzeilen liest. Zuletzt aber war Augsburg ein Synonym für schlechte Nachrichten: Randale-Nacht lautete eine der Bezeichnungen in den Medien für vier Stunden zwischen dem 19. und 20. Juni 2021, bei denen in der Maximilianstraße drum herum eine aggressive Menschenmenge für Chaos sorgte – und für schwere Straftaten. Sanitäter und Polizisten wurden angegriffen und ebenso verletzt wie mehrere Passanten. Warum? Das ist bislang nicht erschöpfend geklärt. Auch die Suche nach den Tätern läuft vier Wochen später bei der Polizei noch auf Hochtouren.

Nach mehrmonatiger Corona-bedingter Pause meldete sich jetzt der Augsburger Presseclub mit einer Podiumsveranstaltung zu dem Thema zurück: „Randale in Augsburgs City“ hieß der Abend, bei dem die Rechtsanwältin Martina Sulzberger, Augsburgs Polizeichef Michael Schwald, der städtische Ordnungsreferent Frank Pintsch, Johanniter-Sprecher und -Sanitäter Raphael Doderer sowie der Gastronom und Augsburger Stadtrat Leo Dietz die Vorkommnisse analysierten. Moderatoren des Abends in der spektakulären, neuen und großzügigen Feuerwehr-Erlebniswelt im Martinipark waren Presseclub-Vorsitzender Wolfgang Bublies und der langjährige Polizeireporter der Augsburger Allgemeinen, Klaus Utzni.

Einer, derer, die die Ereignisse am eigenen Leib miterlebt hatten, ist Raphael Doderer. Der Journalist (Antennen Bayern) ist seit vielen Jahren als ehrenamtlicher Rettungssanitäter bei der Johanniter Unfallhilfe aktiv und war nach eigenen Worten in der Nacht des 19. Juni zum Einsatz gerufen worden. Nachdem man sich zunächst um eine junge Frau am Königsplatz ganz in der Nähe gekümmert hatte, sollten die Sanitäter gegen 1 Uhr nachts in der Maximilianstraße helfen. Dann seien Dinge passiert, die Doderer in seinen 20 Jahren als Sanitäter, als Aktiver in der „weißen Fraktion“, noch nie erlebt habe. Es habe Bedrohungen gegeben, Bedrängung, Angriffe, Pfefferspray sei eingesetzt worden. Die Polizei habe die Hilfeleistung der Sanitäter gegen junge Partymacher absichern müssen. Wenig später habe er, Doderer, in seiner Eingenschaft als Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Augsburger Hilfsorganisationen ein Fernseh-Interview geben wollen, als der Rettungswagen im Hintergrund mit einer Flasche beworfen wurde, die den Kopf eines Sanitäter-Kollegen nur knapp verpasst hatte. Der Dreh sei abgebrochen worden, die Johanniter hätten sich mit ihrem Einsatzfahrzeug bis ans Staatstheater in Sicherheit gebracht.

Noch Wochen später war Doderer der Schrecken anzumerken. Dass diejenigen, die verletzten Menschen helfen wollten, in einer derartigen Weise angegriffen würden, das habe niemand erwartet. Reaktion bei der „weißen Fraktion“? Dass neben Polizisten auch Sanitäter mehr und mehr ins Visier von Chaoten geraten, sei keine Augsburg-eigene Entwicklung. Man müsse in dieser Hinsicht hinzulernen und reagieren. Das alles Entscheidende sei der Eigenschutz der Sanitäter. Es werde möglicherweise nicht ausbleiben, dass sich die Retter eben auch einmal zurückziehen müssen statt helfen zu können. Freilich werde man auch bei den Schulungen der Mitarbeiter auf die neue Situation reagieren müssen, so Doderer.

Quasi von Berufswegen vor Ort miterlebt hatte Leo Dietz die Situation, da er seit Jahrzehnten in der Maximilianstraße als Gastronom tätig ist. Dietz ist zudem Augsburger Stadtrat und Repräsentant des Hotel- und Gaststättenverbands. Dietz stellte klar, dass zum Zeitpunkt der Eskalation die Gastronomie aufgrund der Corona-Beschränkungen weitestgehend bereits geschlossen hatte. Möglicherweise sei dieser Umstand, dass um Mitternacht plötzlich gleichzeitig alle Gäste „auf die Straße gesetzt“ worden waren, mit ursächlich für die Tumulte gewesen. Er sei überzeugt, dass eine längere Öffnungszeit entzerrend gewirkt hätte und man die Randale nicht erlebt hätte. Dietz, der an jenem Abend auch den Augsburger Ordnungsreferenten Pintsch informiert hatte, stellte fest, dass es ungewöhnlicherweise immer mehr Leute am Herkulesbrunnen geworden seien, obwohl es keine Versorgung aus der Gastronomie mehr gegeben habe. Ebenfalls untypisch für die Zustände in der Maximilianstraße: Es sei keine Bestuhlung beschädigt worden, es wurden keine Pflanzkübel zerstört, sondern es sei gezielt auf Polizei und Sanitäter losgegangen worden. Die Einflussmöglichkeiten der Gastronomie und des Gaststättenverbandes auf derartige Vorkommnisse hält Dietz für beschränkt. Gastronomie entwickle sich stetig, sie könne nicht situationsbedingt „gemacht“ werden. Und: Seit dem 19. Juni werde alles in Frage gestellt, auch das, was in vielen Jahren vorher positiv entwickelt worden sei. „Wir brauchen jetzt Normalität“, so Dietz mit Blick auf die vom Freistaat Bayern verhängten Pandemie-Beschränkungen in der Gastronomie. Nachtgastronomie sei ein Teil der Lösung für aktuelle Probleme mit jungen Leuten.

Ähnliches schlug Strafverteidigerin Martina Sulzberger vor, die immer wieder junge Leute vor Gericht vertritt und die sich im Fanprojekt des FC Augsburg engagiert. Man solle jungen Leuten zeigen, dass sie willkommen sind, lautete ihr Appell. Polizei-Hundertschaften oder Absperrgitter seien in dieser Hinsicht nicht förderlich. Sie befürworte den Einsatz von Streetworkern, da junge Leute oft erst einmal nicht mit der Polizei sprechen wollten. Sulzberger stellte auch klar, dass Sanktionen im Nachgang von Gerichtsverfahren bei Jugendlichen oder Heranwachsenden durchaus Sinn machten. Die Arbeit der Sozialarbeiter bei Gesprächsweisungen, bei Anti-Aggressionskursen wirke nachweislich positiv. Vorkommnisse wie jene des 19. Juni sehe sie auch als ein Ventil für frustrierte junge Männer. So mancher von ihnen habe schlechte Erfahrungen mit Institutionen wie Polizei oder Rettungsdiensten gemacht, Alkohol wirke zusätzlich enthemmend.

Alles in Sachen Straftaten läuft bei Augsburgs Polizeichef Michael Schwald zusammen. Rund 1500 Besucher habe man in jener Juni-Nacht in der Innenstadt geschätzt, wo es noch nach Mitternacht nicht nach Randale ausgesehen habe. Nach einer ersten Schlägerei gegen 0.15 Uhr sei es aber zu einem „eruptiven Gewaltausbruch“ gekommen, mit den geschilderten Vorkommnissen wie Flaschenwürfen gegen den Kopf von Polizeibeamten. Laut Schwald laufe die Aufarbeitung der Ereignisse nach wie vor. Die Polizei habe gutes Filmmaterial von Körperkameras der Beamten und Videos von Anwohnern. Die Polizei konzentriere sich bei ihrer Arbeit auf nachweisbare körperliche Angriffe. Insgesamt, so Schwald, sei die Polizei in jener Nacht mit etwa 120 Einsatzkräften vor Ort gewesen, die bis gegen 4 Uhr früh zu tun hatten, die Situation zu beruhigen. Die Polizei ermittle wegen 60 Delikten, sowohl gegen bereits identifizierte, aber auch gegen unbekannte Täter. Schon einen Tag nach der Podiumsdiskussion gab es eine groß angelegte Durchsuchungsaktion der Polizei bei einem guten Dutzend Tatverdächtiger. Schwald stellte klar, dass nicht Jugendliche der Altersgruppe 14 bis 18 Jahre das Problem für die Polizei seien. Die bislang bekannten Täter seien bis auf eine Frau alles junge Männer zwischen 18 und 25 Jahren. Man sehe Straftäter aller Herkünfte und Schichten, was es schwierig mache, einen gemeinsamen Ansatz für die Gewalteskalation zu finden. Schwalds Analyse: Gewaltbereite Personen sind immer da, aber während sie vor Corona mehr über die Stadt verteilt waren, sammele es sich derzeit, so wie in der Maxstraße.

Er sei nicht Teil der Menge, aber vor Ort gewesen, erklärte Augsburgs Ordnungsreferent Frank Pintsch, der nach eigenen Worten jedes Wochenende selber nachschaue, was in der Stadt passiere. Laut Pintsch liege nach Corona derzeit ein unheimlicher Druck auf dem öffentlichen Raum, in Augsburg wie in vielen anderen Städten. Es gelte jetzt, den Bedürfnissen auch der jungen Mensch Raum zu geben. Ein großes Problem aus seiner Sicht: exzessiver Alkoholkonsum. Zwar herrsche im Bereich der Innenstadt und um den Herkulesbrunnen an Wochenend-Abenden ein Alkoholkonsum- und Alkoholverkaufsverbot sowie ein Glasflaschenverbot, aber all diese und weitere denkbare Maßnahmen bedürften der Kontrolle – und müssten verhältnismäßig sei.

Pintsch berichtete von einem Video-Forum mit Maxstraßen-Anwohnern, bei denen viel Zufriedenheit mit den Beruhigungsmaßnahmen zu erkennen gewesen sei. Allerdings könnten Sperrgitter in der historischen Straße keine Dauerlösung sein.

Bezüglich der Kosten von dutzenden Ordnern, die regelmäßig an den Donnerstag-, Freitag- und Samstagabenden eingesetzt würden, sprach Pintsch von einem sechsstelligen Betrag, mit dem das Flanieren in der Maxstraße gesichert werde. Seitens der Stadt bearbeite man bezüglich der Zustände in der Innenstadt, vor allem in der Maxstraße, mehrere Handlungsfelder. So verlange die Maxstraße ein Raummanagement gegen Lärm und Müll und für öffentliche Toiletten. „Niemand will eine tote, niemand eine vollgekotze Maxstraße“. Eine Frage sei der Umgang mit dem breiten Straßenraum, wenn künftig – wie geplant – Autos aus der Straße verbannt würden: Eine Bühne aufstellen, ein Museum erbauen? Wichtig sei zudem die Selbstverantwortung der Beteiligten, etwa in Sachen Müll. Pintschs Fazit: „Wir wollen eine pulsierende Metropole mit schöner Innenstadt sein.“

Michael Siegel


Bilder: Michael Siegel