Jenseits unserer Wahrnehmung


Gesprächsrunde mit Weihbischof Dr. Dr. Anton Losinger zum Thema Wunder (gibt es immer wieder)

Alliierte Bomber des Zweiten Weltkriegs fliegen in Richtung Süddeutschland, das Ziel soll die Stadt Kaufbeuren sein. Menschen schicken Stoßgebete zur Crescentia von Kaufbeuren – die Bomber fliegen weiter (und entladen ihre Fracht auf Kempten). Ein Wunder? Bestimmt für manche Menschen in Kaufbeuren, wohingegen das in Kempten zweifellos anders gesehen wurde.

Wunder, gibt es die wirklich, was kann man davon halten, welche Bedeutung haben sie für Christen? Eine Frage, die vor Jahresfrist aufgeworfen worden war bei einem Spargelgespräch, bei dem Augsburgs Weihbischof Dr. Dr. Anton Losinger den Gästen des Augsburger Presseclubs Rede und Antwort stand zu Fragen rund um „Gott und die Welt“. Dabei kam auch die Frage zu Wundern auf, es wurde ein Fortsetzungstermin beschlossen. Fragesteller Dr. Sebastian Priller, Chef des Augsburger Brauhauses Riegele, verdingte sich jetzt als Gastgeber der Runde und bewirtete in der Riegele Brauwelt die Gäste mit Speis und Trank (wobei es die viele Jahrhunderte als Wunder geltende der Gärung zum Bier zu erleben gab). „Wunder gibt es immer wieder …“ sang Katja Ebstein 1970 – und jetzt stellte Alois Knoller (Augsburger Allgemeine) Fragen zu diesem Themenkomplex an seinen ehemaligen Studienkollegen Losinger.

Ja, so Losinger, Wunder passieren tatsächlich täglich. Ein Mensch, den die Ärzte schon aufgegeben haben, kommt wieder auf die Beine. Eltern beobachten eine wundersame Wandlung ihres scheinbar ungezogenen Kindes zu einem erwachsenen Menschen. Dinge, die wissenschaftlich nicht erklärbar sind, passieren. Begründet liegen diese Wunder im Wirklichkeitsbegriff des Menschen, dessen, was für ihn in seiner Zeit erklärbar ist. Losinger führte aus: Was würde Christoph Columbus wohl sagen, wenn man ihm heute einen der täglich unzähligen Flüge zwischen Europa und Amerika anböte? Wie würde Alexander von Humboldt die Erkenntnisse heutiger Wissenschaftler einschätzen? Wie würde Johann Wolfgang Goethe auf die Möglichkeiten eines Mobiltelefons reagieren? Für sie vermutlich lauter Wunder.

Und dann die Wunder in der Bibel. Steh auf, nimm dein Bett und geh, sagte Jesus zum Lahmen, der eben dies tat. Und Jesus formte einen Lehm aus Staub und Spucke, legte ihn dem Blinden auf die Augen und der konnte wieder sehen. Oder die 5000 Menschen am See Genezareth, die mit fünf Broten und zwei Fischen alle gespeist werden konnten und am Schluss blieben körbeweise Lebensmittel übrig. 

Losinger erklärte: „Wunder“ in der Bibel, das seien im Wortsinne eigentlich „Zeichen“. Zeichen von Vorgängen jenseits der Erklärbarkeit der Menschen. Solche Zeichen habe es zu verstehen gegolten: Gott wirkt in dieser Welt, er hat die Macht etwas zu tun in der Welt. Gott soll erkannt werden. Die Bibel sei kein Bericht, keine Dokumentation, sondern ein Zeugnis der Menschen, die Jesus gesehen haben. Ein Glaubenszeugnis, so der Weihbischof. Und eben das mache den Wert der Bibel aus, denn „es gibt von Jesus kein Foto, keine Tonaufnahme, keine notarielle Dokumentation“. Losingers feste Überzeugung: Wenn, was die Bibel beschreibt, nicht passiert wäre, hätten es die Menschen nicht berichtet. War das Grab Jesu bei der Auferstehung (unser heutiges Osterfest) leer? Losinger: „Wenn es nicht leer gewesen wäre, wäre es nicht berichtet worden, hätten sich keine Märtyrer für diese Botschaft gefunden. „Die Bibel ist ein Zeugnis, sie gibt eine Botschaft, ist aber eine andere Wirklichkeit, als wir sie in der digitalen Welt heute kennen.“

Und: Wer immer das glaubt, was in diesem Buch steht, ist in unserer Gesellschaft in der Freiheit das zu tun. Wer es nicht glauben will, hat gottseidank auch diese Freiheit.

Drei maximale Wunder benannte Weihbischof Losinger: als allergrößtes Wunder jenes, dass es überhaupt etwas gibt. Der Beginn des Kosmos – ein wirkliches Wunder. Wenn alles Zufall wäre, gäbe es die Erde nicht. Das zweite Wunder sei die Entstehung des menschlichen Geistes, eines Lebewesens, dass sich seiner selbst bewusst ist. Statistische Berechnungen sprechen gegen eine solche Existenz – also wahrlich ein Wunder. Das dritte Wunder sei die Auferstehung Jesu Christi. Wenn der Sohn Gottes geboren wird, Gottes Identität auf der Erde erscheint, er gekreuzigt wird und aufersteht, ist diese Auferstehung das dritte große Wunder.

Aber der Mensch ist auf dem Weg, vermeintlichen Wundern auf den Grund zu gehen. So wie dem Wunder des menschlichen Lebens. Dabei übte Losinger klare Kritik an Vorhaben, wie sei jetzt aus China bekannt geworden sind, dass nämlich per Genveränderung, Genomanalyse, in die Menschwerdung eingegriffen werde. Mit genetischer Diagnostik oder dem Präna-Test befänden wir uns quasi auf dem Weg zu einer genetischen Rasterfahndung. Das Problem laut Losinger: Werde bereits vor der Geburt bei einem Kind eine genetische Veränderung (Deviation) festgestellt, bedeute dies in 90 Prozent der Fälle eine Beendigung des Lebens im Mutterleib (via Abtreibung).

Schließlich bekannte Losinger, selbst auch an einem Heiligsprechungsprozess beteiligt gewesen zu sein. Eben an jenem der heiligen Crescentia (Höss, 1682 – 1744) von Kaufbeuren (vollzogen im Jahr 2001). Losinger war seinerzeit Kaplan in Irsee, einer Nachbargemeinde von Kaufbeuren. Außer bei Märtyrern, so Losinger, habe der Heiligsprechungsprozess eine Wunderbewirkung erwartet (ebenso wie der vorangegangene Seligsprechungsprozess). Und wie in vielen anderen Fällen auch konnte im Falle der Kaufbeurer Klosterfrau eine Heilung nach Anbetung nachgewiesen werden. Auch wenn Papst Franziskus diese Form von Wunderheilung jetzt nicht mehr verlange, bekannte Losinger: „Ich traue Gott zu, dass er Dinge bewirken kann, die jenseits unserer Wahrnehmung stattfinden.“ 

Michael Siegel


Zur Person

Anton Losinger (61), geboren in Friedberg, empfing im Jahr 1983 die Priesterweihe vom damaligen Augsburger Diözesanbischof Josef Stimpfle. Er besitzt zwei Doktor-Titel, einen in Theologie und einen in Volkswirtschaft. Nach seinen Studien lehrte Losinger als Gastprofessor zunächst an der katholischen Universität in Washington (USA), bevor er Priester in Irsee, dem kleinen Ort bei Kaufbeuren mit dem großen (ehemaligen) Kloster mit dem schwäbischen Bildungszentrum wurde. Im Jahr 2000 wurde er vom damaligen Papst Johannes Paul II zum Weihbischof ernannt. Immer wieder war und ist Losinger seitdem als Vertreter der katholischen Kirche Mitglied in verschiedenen Kommissionen und Räten. So gehörte er von 2005 bis 2016 dem deutschen Ethikrat an. Er ist seit 2009 Mitglied der Bioethik-Kommission der bayerischen Staatsregierung und gehört seit 2011 dem Senat der Max- Plank-Gesellschaft an. Im Jahr 2015 wurde Losinger zum Stiftungsratsvorsitzenden der Katholischen Universität Ingolstadt-Eichstätt berufen, zudem wurde er zum Bischofsvikar für Bioethik und Sozialpolitik ernannt und er ist Mitglied der Kommission für Wissenschaft und Kultur der Deutschen Bischofskonferenz.


Bilder: Klaus Krieger