Kunstwerke, die wie Kleider aussehen


Zu Besuch im Augsburger Textilmuseum tim bei der Ausstellung „Phoenix – Modewelten von Stephan Hann“

Ein Rock aus Tausenden von Briefmarken, ein Kleid aus den leeren Tablettenblistern, eine Schleppe aus goldenen Vakuum-Kaffeeverpackungen – das und vieles mehr gibt es jetzt im Museum zu sehen. Konkret im Staatlichen Textil- und Industriemuseum (tim) in Augsburg, das jetzt eine Retrospektive des in Berlin geborenen Modeschöpfers und Textilkünstlers Stephan Hann zeigt. „Phoenix – Modewelten von Stephan Hann“ heißt sie Schau in Erinnerung an jenen legendären Vogel, der aus der Asche kam, so wie Hann seine Kunstwerke oftmals aus Müll und anderen Zivilisations-Hinterlassenschaften fertigt.


tim-Museumsleiter Karl Murr zeigte den Gästen des Presseclubs den Weg des 1970 geborenen Hann vom Studenten des Modedesigns hin zum Künstler auf, der heute Kunstwerke fertige, die wie Kleider aussehen. Das tim in Augsburg zeigt – noch bis Ende Juli – eine Werkschau, wie es sie in dieser Ausführlichkeit noch nie gegeben habe, so Murr. Eingeteilt ist sie in einen Prolog, einen Hauptteil und einen Epilog. Adam und Eva begegnen dort dem Betrachter, zwei Modepuppen bekleidet mit Schürzen aus alten Fotos. Gleich daneben das Model „Par Avion 2011“, ein Kleid aus unzähligen Briefmarken. Oder die Diva 2011, die ein Gewand aus lauter gerollten Buchseiten trägt. Oder das Modell „Metropol 2013“ gefällig? Die Puppe ist eingehüllt in ein Kleid aus Ausstellungsplakaten aus dem Deutschen Historischen Museum. „Berliner Bank 2011“ nennt sich hingegen ein Modell gefertigt aus lauter Kontoauszügen besagter Bank.


Unterbrochen wird die Galerie der Modepuppen von einer mächtigen Wand, der Souvenir-Wand Stephan Hanns. Diese, so verriet Karl Murr, habe er persönlich dem Künstler aus dessen Berliner Wohnung abgeschwatzt, um sie ausstellen zu können. Zeige sich so doch etwas von der Persönlichkeit des Künstlers, eines unablässigen „Sammlers und Finders“, wie Murr es nannte. Und so finden sich denn an dieser gewaltigen Wand Bilder, Poster und Collagen ebenso wie Figuren und Figürchen (auch ein Mainzelmännchen), ein Bügeleisen, ein Blechblasinstrument und sogar ein Stück der Berliner Mauer.


„Geschützt“ heißt das Thema von Objekten gleich nebenan, das Kleidung quasi als eine zweite Haut des Menschen zeigt. Dazu zählen Modelle aus ganzen oder Teilen von Tetra-Pak-Kartons ebenso wie Kleider aus Plastiktüten oder eben jene aus den leeren Tablettenblistern. In diesem Fall zeigte Museumsleiter Murr den persönlichen Bezug des Künstlers zu seinem Objekt auf, den es in vielen Fällen mehr oder weniger deutlich gebe. Denn Hann hat nicht irgendwelche Tablettenblister zusammengenäht. Nein, sie alle stammen von einer Freundin, die querschnittsgelähmt ist und die täglich vielerlei Medikamente einnehmen muss. Gleich drei Kleidungsstücke konnte Hann so allein aus den Tablettenverpackungen eines Jahres herstellen.


Dann betritt der Besucher die sogenannte Schatzkammer – einen abgedunkelten Raum. Die ausgestellten Kleidungsstücke befinden sich jetzt in gläsernen Vitrinen – aus Schutz. Denn beispielsweise das Kleid „La vie en rose“ aus dem Jahr 2013 besteht tatsächlich aus unzähligen miteinander vernähten Blütenblättern. Das Motiv der an eine Rüstung erinnernde Bekleidung ist spätestens jetzt ad absurdum geführt, stehen doch gerade die Rosenblätter auch für Vergänglichkeit und nicht für Beständigkeit. Geschützt werden muss etwa auch das Kleid „Opernball“ von 1985, das aus den empfindlichen Seiten aus einem Telefonbuch hergestellt ist.


Etwas überraschend für diese Form von Kunst mag sein, dass Stephan Hann auch für kirchliche Auftraggeber arbeitet. Eine der ausgestellten Kaseln ist aus Malervlies genäht, einem normalerweise doch weniger wertigen Material. Dann eine weitere Geschichte, die Museumschef Murr aus den Begegnungen mit Hann zum Besten gibt. Der nämlich bekam das Angebot, aus alten Augsburger Museumsstoffen Kunstwerke zu fertigen. Und dann so Murr, sei der Künstler geradezu versunken in den Stoffen des Museums. Nach und nach habe er seine Wahl getroffen, Resultat sind vier Kimonos aus Augsburger Museumsstoff der 1950er Jahre.


Ein besonderer Raum erwartet die Besucher am Ende des Rundgangs zwischen den knapp 100 Objekten Hanns: Denn der hat unter dem Stichwort „Erinnert“ eine Art Garten geschaffen, mit dem er an Elizabeth Amzallog-Auge erinnert, eine ihm bekannte, 2009 verstorbene Künstlerin aus Paris. Dieser Garten ist geprägt durch eine mächtige, zentrale Blume aus unterschiedlichen Stoffen. Umgeben ist diese Blume von Sitzmöglichkeiten, ebenso aus Stoffen mit Blumenmotiven. Hinsetzen und Ausruhen erlaubt, so Museumschef Murr.


Der berichtete den Besuchern des Presseclubs, die die Entstehung des Museums tim von Anfang an (Eröffnung war 2010) verfolgten, dass das Museum als eine „Erfolgsgeschichte“ zu werten sei. Die Beteiligten hätten „mit Leidenschaft viel Arbeit in dieses Projekt hineingesteckt“. Und es sei gelungen, das tim nicht nur als einen Ort der Erinnerung zu etablieren, sondern auch als ein „Labor der Moderne“. Es zeige anhand der Dauerausstellung „wie der Mensch modern geworden ist“. Jährlich um die 100.000 Besucher kämen in das Museum und damit über doppelt so viele, wie anfänglich kalkuliert worden sei.


Die Ausstellung „Phoenix – Modewelten von Stephan Hann“ ist noch zu sehen bis 29. Juli 2018 immer dienstags bis sonntags von 9 bis 18 Uhr im Textilmuseum, Provinostraße 46, 86153 Augsburg. Öffentliche Führungen finden an allen geöffneten Sonn- und Feiertagen statt, bitte vorab anmelden unter 0821 / 81001-50 oder tim@tim.bayern.de.
Michael Siegel


Fotos: Klaus Rainer Krieger