Weinverkauf und Leserreisen


Podiumsgespräch mit Stefan Hilscher, Geschäftsführer des Süddeutsche-Zeitung-Verlags, über die Bezahlbarkeit von Qualitätsjournalismus

Ja, Qualitätsjournalismus wird bezahlbar bleiben, wird eine Zukunft haben, bekräftigte Stefan Hilscher im Augsburger Presseclub. Aber, so der Geschäftsführer des Süddeutsche-Zeitung-Verlages, die Verlage werden zusätzlich zu den althergebrachten Einnahmequellen aus Anzeigen und dem Vertrieb auch anderweitig Geld verdienen müssen. 550 festangestellte Journalisten bei der Süddeutschen Zeitung (SZ) heute und möglicherweise auch in Zukunft – wollen bezahlt werden. „Wir brauchen Zusatzgeschäfte“, sagte Hilscher, „und wir müssen für alle Leistungen, die wir anbieten, Geld verlangen“ – ein Verweis auf Bezahlmodelle für Online-Journalismus. Kreativität beim Erschließen neuer Einnahmequellen sei gefordert und dann müsse es einmal mehr heißen testen, testen, testen, um herauszufinden, was zur Zielgruppe passe und was einträglich sei. Gute Ergebnisse mache man beispielsweise mit auf eine anspruchsvolle Zielgruppe zugeschnittenen Leserreisen. Auch ein hochwertiger SZ-Wein, die Flasche zu 34 Euro, habe sich gut verkauft. Freilich, so Hilscher, liefen in seinem Verlag weitere Projektplanungen, über die zu sprechen die Zeit aber noch nicht reif sei.
„Wie lange ist Qualitätsjournalismus noch bezahlbar?“ hatte die Ausgangsfrage für das Podiumsgespräch Hilschers mit Presseclub-Vize Alfred Schmidt (ehemaliger Leiter der Stadtredaktion bei der Augsburger Allgemeinen Zeitung) gelautet, denn: Das Internet lässt die Erlöse der Traditionsmedien schrumpfen, Online-Nutzer halten sich weiter bevorzugt an kostenlose journalistische Inhalte. Wie entwickeln sich Zeitungsverlage unter dem Kostendruck? Was bringen neue Geschäftsmodelle? Und ist Qualitätsjournalismus in Zukunft überhaupt noch bezahlbar? Das und mehr sollte der Abend klären.


Presseclub-Gast Stefan Hilscher freute sich über die Einladung nach Augsburg, 99 Prozent der Besucher des Presseclubs kenne er persönlich aus einer beruflichen Zeit in Augsburg. Hilscher (61) begann seine berufliche Laufbahn in Augsburg, wohin es den Hanseaten 1976 als Volontär zur Augsburger Allgemeinen verschlagen hatte. Nach einem Zwischenspiel als Pressesprecher der Lufthansa kehrte er zur AZ zurück, wo er von der Redaktion an die Spitze des Verlags wechselte. Weitere Stationen Hilschers waren Du Mont in Köln und die Berliner Zeitung, bevor er 2015 als Geschäftsführer zum Süddeutschen Verlag wechselte.
Seinem Ja zu einer Zukunft für Qualitätsjournalismus stellte Hilscher eine Definitionsdebatte voran. Qualitätsjournalismus sei je nach Zielgruppe unterschiedlich zu definieren, da die Ansprüche unterschiedliche seien. Erste Konsequenz für die Leser überregionaler (Tages)Zeitungen werde sein, dass diese weiterhin teurer werden würden, womit die Verlage auf wegfallende Anzeigenerlöse reagieren müssten. Aber: Der Preis sei erfahrungsgemäß kein Kündigungsgrund für ein Abonnement der Süddeutschen Zeitung, habe sich herausgestellt, so der Geschäftsführer. „Wir haben die attraktivste Zielgruppe in Print, die es gibt“, freute sich Hischer, „sie hat Geld und sie will es heute ausgeben.“ Und bei der SZ komme zu den eher älteren Nutzern der gedruckten Ausgabe eine zahlungskräftige Zielgruppe bei Digitalabos (die bis zu 35 Euro im Monat kosten) hinzu, die jünger sei.
Hilscher analysierte aus der Erfahrung von Schulprojekten eine große Begeisterung bei Kindern für die Zeitung (der Eltern). Dann komme eine Bezugs-Lücke nach dem Schulende, trotz Studentenabos reiche das Geld bei Studierenden oftmals nicht mehr für ein Zeitungsabo. Im Laufe der Zeit gelinge es, jüngeren Erwachsenen begreiflich zu machen, dass Lesen (von Zeitungen) bilde und es gelinge, diese Menschen zunächst über ein Wochenendabo als regelmäßige Leser zu gewinnen. Dazu gehöre „etwas Haptisches“, man will, beispielsweise am Wochenende, eine Zeitung aus Papier in der Hand halten. Die Süddeutsche reagiere mit ihren Abo-Modellen auf diese Entwicklung, indem sie digitale und Print-Bezüge nach den Kundenwünschen kombiniere. Hilscher nannte aktuell eine Auflage der SZ von 360.000 Exemplaren, davon 60.000 Digitalabos (darunter 40.000 voll bezahlte, die übrigen in Kombination mit Print). „Wir holen neue Leser über das Wochenendabo oder das Digitalabo mit langen Texten, mit Magazintexten“. Ganz anders als man das noch vor Jahren prognostiziert habe „arbeiten wir damit am besten im Online-Bereich“.


Ob oder wann Digital Print überholen werde, wollte Hilscher nicht abschätzen. Aber die Entwicklung gehe Richtung digitales Lesen. An Print hänge eine Riesen-Druckerei plus teure Zustellung. Während ältere Leser im Digitalen eher ein 1:1-Abbild „wie Print“ haben wollen (das E-Paper), bevorzugten Jüngere mehr optische Aufbereitung – und die Möglichkeit zum mobilen Lesen auf dem Smartphone. Bei der SZ beschäftigten sich rund 60 Produktentwickler plus 100 Journalisten ausschließlich mit den Themenbereichen des digitalen Journalismus.
In Sachen Bezahlschranke für redaktionelle Inhalte der Zeitungsverlage erwartet Hilscher Bewegung, wenn der Spiegel-Verlag wie angekündigt demnächst für Spiegel-Online öfter Geld sehen wolle. Dann werden viele andere davon profitieren, die schon jetzt mit Bezahlmodellen arbeiten, so der SZ-Geschäftsführer.
Hilscher stellte dar, dass (für seinen Verlag) immens aufwendige Projekte wie das Aufdecken der Panama-Papers und Paradise-Papers vor allem als Investitionen ins Image und in den Qualitätsjournalismus zu sehen seien. Inwieweit sich derartige Erfolge finanziell positiv auswirkten, sei schwer nachzuvollziehen. Ja, es habe in den ersten beiden Tagen nach Erscheinen der Berichte einen deutlichen Anstieg im Einzelverkauf gegeben, der aber nicht angehalten habe. Möglicherweise hätte man die Angelegenheit verlagsseitig finanziell rentabler gestalten können, aber selbst die Verlagsleitung sei sehr spät in die Arbeit der Journalistennetzwerke eingeweiht worden, um die erforderliche Geheimhaltung zu gewährleisten.


Einen klaren Kurs fuhr Hilscher beim Umgang mit Facebook, google & Co. Selbst wenn die Rolle von Facebook als Portal für SZ-Zugänge zuletzt abgenommen habe, kämen immer wieder neue Bewerber ins Spiel. „Wir Verlage sind selbst schuld, dass es heute Immoscout und Ähnliches gibt“, bezog er selbstkritisch Stellung zum Verhalten vieler Kollegen (in früheren Jahren). „Wenn wir uns nicht selbst kannibalisieren, dann machen es andere“, erwiderte er auf entsprechende, bis heute zu hörende Einwände aus Unternehmensleitungen bei geplanten Veränderungen. Hilschers Devise: „Der Vertriebsweg ist mir egal, Hauptsache ich bekomme neue Abonnenten“ Und noch eine Kritik: Die Medienbranche habe sich den Print-Sektor selbst nahezu tot geredet. Neben den Lesern seien auch die Anzeigenkunden verunsichert worden und sie fragten sich, warum sie da noch investieren sollten. Heute dürfe die Frage nicht mehr Print oder Online lauten, sondern man spreche von verschiedenen Vertriebswegen.
Dem Podiumsgespräch im vollbesetzten Georgensaal des Augsburger Presseclubs schloss sich eine Fragerunde mit den Besuchern des Abends an. Dabei präsentierte Hilscher den Besuchern die Zeitschriften-Produkte SZ Familie und SZ Langstrecke, von denen es Leseproben mitzunehmen gab.
Michael Siegel


Foto: Michael Siegel