Wie die Jungfrau zum Kind


Augsburgs OB Kurt Gribl spricht über seine Aufgabe als Teilnehmer an den Jamaika- und den Groko-Verhandlungen

Wie die Jungfrau zum Kind sei er zu seiner Aufgabe zunächst als Verhandler bei den (erfolglosen) Jamaika-Koalitionsgesprächen sowie anschließend jenen (erfolgreichen) zur Bildung einer erneuten Großen Koalition (Groko) gekommen, bekannte der Augsburger Oberbürgermeister Kurt Gribl jetzt vor den Besuchern des Augsburger Presseclubs im vollbesetzten Georgenkeller. „Wie der Augsburger OB in Berlin in der großen Politik mitgemischt hat“ lautete der Titel des Abends, den die beiden Presseclub-Vorsitzenden Wolfgang Bublies und Alfred Schmidt (Stellvertreter) moderierten und bei denen Gribl über die Koalitionsverhandlungen zur Regierungsbildung sprach und daneben über das eine oder andere weitere aktuelle Thema.
Er sei zufrieden darüber, dass es jetzt (erneut) zur Bildung einer Groko aus CDU/CSU und SPD komme, so Gribl, nicht jedoch mit den Umständen. Durch die Mitgliederbefragung der SPD gebe man diesen mehr Bedeutung, als angemessen. Es sei nicht angemessen, jetzt aufgrund des erfolgreichen Mitgliedervotums von einer Rettung der Regierung zu sprechen.


Ein Scheitern der Groko-Verhandlungen hätte negative Folgen gehabt: Das Vertrauen in die etablierten Partien hätte weiter gelitten, noch mehr Wähler wären wohl im Falle von Neuwahlen zur AfD abgewandert. Diplomatisch meinte Gribl; „Wir haben einen Koalitionsvertrag mit tausenden Themen von der bewaffneten Drohne bis zum Wolfsmanagement.“ Man könnte sofort anfangen zu arbeiten, um das Programm abzuarbeiten. „Wir haben viele gute Themen gesetzt, diese müssen aber umgesetzt werden.“
Befragt nach dem Unterschied zwischen den Jamaika-Gesprächen und jenen zur Groko meinte Gribl, bei Jamaika sei erst einmal alles neu für ihn gewesen Und: „Ich hatte Lust auf solch eine Konstellation. Ich hatte mich über die erste ablehnende Reaktion der SPD am Wahlsonntag geärgert, das war eine Spontanentladung, die ich nicht in Ordnung fand.“


Etwas Neues zu erspüren mit der FDP und den Grünen das habe er als reizvoll empfunden. Aber bei Jamaika seien Fehler gemacht worden. Die Gespräche hätten sich über Monate hingezogen, mit größeren Unterbrechungen. Resultat: Was besprochen worden sei, verschwand in der Partei der Grünen und kam am nächsten Tag anders wieder heraus. Dennoch zeigte sich Gribl überzeugt von einem Erfolg dieser Konstellation und er scherzte: „Jamaika hätte funktioniert, die hätten sich schon an uns gewöhnt.“
Anders als bei den Jamaika-Verhandlungen habe es bei den Gesprächen mit der SPD kürzere Strukturen und knappere Zeiträume gegeben, das Ganze sei stringenter gewesen. Zwar habe die SPD erkennbar wegen des Mitgliederentscheids unter Druck gestanden, aber man habe seitens der Union deswegen nicht viel nachgegeben.
Während bei Jamaika ein großes Gremium von über 90 Personen aus vier Parteien vorstand, habe es bei den Groko-Verhandlungen ein engeres Parteigremium aus den Chefs („Olymp“) gegeben, wo die Ergebnisse der recht kleinen, oft sechsköpfigen Verhandlungsgruppen aus 18 Themenfeldern landete. Immer wieder sei rapportiert worden, man sei gut und straff organisiert gewesen.


Gribl selbst, der sein Exemplar des Koalitionsvertrags präsentierte („es hat einen emotionalen Wert für mich“) hatte die Verhandlungsgruppen Kommunen/Ländlicher Raum sowie Wohnen/Mieten geleitet. Dabei, so der OB stolz, seien auch einige Formulierungen aus seiner Feder in das Vertragswerk eingegangen. Gribl nannte den Aspekt des Baukindergelds und einen längeren Passus um den Bereich kommunaler Sonderprogramme (etwa mit Aufwendungen für die kommunale Flüchtlingshilfe) mit einem Volumen von acht Milliarden Euro. Dieser sein Passus habe sowohl den Jamaika- wie auch den Groko-Verhandlungen Stand gehalten.
Den Rückzug der FDP aus den Jamaika-Verhandlungen habe er, Gribl, bereits vorab erkennen können. Auf dem Weg in den CSU-Rückzugsraum in Berlin sei er an jenem Raum der FDP-Delegation vorbeigekommen und habe dort gesehen, wie die FDP-Verhandler bereits ihre Sachen packten und alles aufräumten – noch vor der Absage von Parteichef Lindner an Jamaika. Nach Gribls Einschätzung sei das Vorhaben der FDP, die Verhandlungen aus parteitaktischen Gründen platzen zu lassen, vorbereitet gewesen. Etwas unverständlich sei der späte Zeitpunkt gewesen, als schon fast alles klar gewesen sei, denn aus seiner Sicht habe es für die FDP bereits vorab genügend Sollbruchstellen in den Koalitionsverhandlungen gegeben.


Gribl stellte klar, dass sich die Verhandlungsergebnisse von Jamaika und Groko unterscheiden. FDP und Grüne hatten andere Gewichtungen als die SPD. Unterschiedliche Akzente hätte es beim Klimaschutz oder bei der Landwirtschaft ebenso gegeben wie beim Austritt aus dem Soli oder der Gesundheitspolitik.
Auch er selbst habe von den Verhandlungen profitiert, so der Augsburger OB, und er habe am Rande für seine Stadt Themen platzieren können. Gribl nannte Gespräche mit Innenminister Thomas de Maiziere über die (2022 geplante) Kanu-WM in Augsburg und die Sanierung der dann 50 Jahre alten Strecke am Eiskanal. Mit Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen habe er über eine Anschlusspatenschaft zur Fregatte Augsburg gesprochen.
Freilich blieb die Frage nach einer Regierungsposition für Kurt Gribl nicht aus. Etwa im Tross von Horst Seehofer, den Gribl als „väterlichen Freund bezeichnet“ und der künftig das Innenministerium übernehmen soll? Oder doch eine Position im Kabinett des künftigen bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder? Das sei nie die Frage gewesen, so Gribl. Zuletzt im Parteipräsidium habe er mitgesprochen, habe selbst Personalvorschläge für die Kabinettsumbildung gemacht, ganz unbefangen, da er selbst nie zur Debatte gestanden habe. Für ihn als OB stehe die fachlich-sachliche Zusammenarbeit vorne an.
Dann also weitere Amtsperioden als Bürgermeister in Augsburg? Kurt Gribl gab sich bedeckt. Zunächst gebe es für ihn in den nächsten beiden Jahren in Augsburg viel zu tun. Im laufe dieser Zeit werde sich klären, ob er 2020 eine weitere Amtszeit als OB anstreben werde.
Nicht zuletzt wurden auch andere Themen als jene der Regierungsbildung angesprochen. In Sachen Fahrverbot für Dieselautos in Innenstädten relativierte Gribl. Dort wo die geltenden Grenzwerte an Stickoxid sehr deutlich überschritten werden, so verstehe er das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes, seien Fahrverbote als letzte Möglichkeit vorstellbar. München, Stuttgart oder Düsseldorf können solche Orte sein. In Augsburg sei ein Fahrverbot wegen der nur geringfügigen Überschreitungen der Grenzwerte eher weniger vorstellbar. Hier, so der OB, seien anderweitige Maßnahmen und Nachbesserungen (Elektromobilität, öffentlicher Nahverkehr, Stärkung des Radverkehrs) angezeigt.


Ein generell kostenfreier Nahverkehr für alle sei wohl kaum bezahlbar, so der Augsburger OB, vor allem wenn man in Betracht zieht, dass zu den derzeitigen rund 43 Millionen Euro jährlicher Aufwendungen der Stadtwerke weitere Ausgaben (für Fahrzeuge, Personal etc.) hinzukämen, wenn man mehr Fahrgäste anziehe. Als Akutmaßnahme sei kostenloser Nahverkehr aber temporär eine gangbare Lösung, um die Schadstoffwerte herunterzubekommen.
Bis Mitte des Jahres werde die Stadt einen Aufgabenkatalog in Sachen Tarifreform für den Augsburger Verkehrsverbund abarbeiten. Beschwerden würden systemisch überprüft, im Sommer werde man sehen, ob und wo es Abhilfe gibt.
Was einen möglichen Stellenabbau beim Flugzughersteller Premium Aerotec anbelangt, beruhigte Gribl. Probleme mit der Auftragslage seien seit längerem bekannt, bei den jüngsten Meldungen über Stellenabbau handle es sich um ein „Worst-Case-Szenario“ des Unternehmens. Anders als beim Lampenhersteller Ledvance gebe es aber aktuell bei Premium Aerotec keine klaren Hinweise auf einen massiven Stellenabbau.
Michael Siegel

Kurt Gribl, 53, ist studierter Jurist und seit 2008 Oberbürgermeister in seiner Heimatstadt Augsburg. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Städtetages und in seiner Partei, der CSU, einer von fünf Stellvertretern des Parteivorsitzenden.

Michael Siegel


Foto: Klaus F. Linscheid