Es war einmal …. der Gedanke, Menschen mit (geistiger) Beeinträchtigung trotzdem eine Stelle auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt anzubieten – und sie fair zu bezahlen – statt sie im behüteten Umfeld einer Werkstatt für ein Taschengeld zu beschäftigen. Dann die Idee, entstanden 2014: Der Verein „einsmehr – Initiative Down-Syndrom Augsburg und Umgebung“ könnte als Betreiber eines Hotels selber Arbeitsplätze für Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung schaffen. Seitdem arbeitete eine Gruppe von Mitgliedern daran, diese Vision zu verwirklichen. Im Sommer 2017 wurde mit Hilfe der Aktion Mensch ein Businessplan erarbeitet. Nachdem ein passendes Objekt für das Vorhaben gefunden wurde, ging der Verein den nächsten Schritt und gründete eine gGmbH.
„einsmehr“, so heißt seit 2020 ein Hotel in der Augsburger Alfred-Nobel-Straße gegenüber dem Universitätsklinikum, welches jetzt eine Gruppe des Augsburger Presseclubs besuchte. Beeindruckend allein schon die Dimension des Betriebs an der Stadtgrenze zwischen Neusäß und Augsburg: Nicht weniger als 73 Zimmer hat das Hotel, eingerichtet in einem Gebäude, das ursprünglich gar nicht als Beherbergungsbetrieb geplant wurde. Die eigentliche Besonderheit des einsmehr-Hotels erkennt nicht beim ersten Hinschauen. Das einsmehr ist ein sogenanntes Inklusionshotel, ein Hotel, in dem Menschen mit (geistiger) Beeintächtigung neben Menschen ohne Beeinträchtigung arbeiten. Dass die Macher des Hotels diesen Umstand – anders als andere Inklusionshotels – nicht plakativ vor sich hertragen, sei beabsichtigt, so Geschäftsführer Jochen Mack, der die Gäste des Presseclubs informierte. Nein, man verstecke keinen seiner Mitarbeiter und man könne den Hintergrund des Projekts auf der Homepage auch nachlesen. Aber das Konzept des Augsburger einsmehr sei ein anderes: „Wir verlangen branchenübliche Preise, dafür bekommen unsere Gäste auch branchenübliche Leistung.“ Oder sogar etwas mehr: Immer wieder, so Mack, würde das Team des einsmehr seine eigenen Bewertungen im Internet mit jener der Kollegen anderer Hotels aus dem Stadtgebiet und der Umgebung vergleichen. Und sich darüber freuen, wie gut man von den Gästen bewertet werde. Wenig wunderlich, dass die Bewertung etwa des „Maximilians“ mitten in der Augsburger City in der Kategorie „Lage“ besser ausfällt als jene des einsmehr. Aber wenn es um die Freundlichkeit des Personals gehe, sei das einsmehr mit seinen Mitbewerbern mindestens auf Augenhöhe. Oder sogar etwas besser, was immer wieder für Freude im Team sorge. Dass es in der Belegschaft „passt“, zeigt laut Mack die sehr geringe Fluktuation bei den Beschäftigten. Sowohl die zwölf Behinderten als auch die zwölf Nichtbehinderten seien meist schon seit einigen Jahren mit dabei, seit das Hotel 2020 eröffnet worden war.
In der Anfangszeit des Betriebs während der Corona-Pandemie habe das einsmehr finanzielle Hilfen erhalten, staatliche Ausgleichszahlungen ebenso wie Unterstützung beispielsweise der „Sternstunden“-Hilfsaktion des Bayerischen Rundfunks. Rund 1,5 Millionen Euro hat der Trägerverein des Hotels investiert, um das Projekt zu verwirklichen. Mittlerweile sei man auf dem Weg, so Mack, eine „schwarze Null“ zu schreiben. Das müsse Ziel des Hotelbetriebes sein.
Weil das einsmehr ein ganz normales Hotel sein will, beschäftigten die Verantwortlichen laut Mack dieselben Sorgen, wie die anderen örtlichen Hoteliers auch. 80 Prozent der Übernachtungen in Augsburg entfielen auf Geschäftsreisende, nur 20 Prozent auf private Übernachtungen. Entsprechend ungünstig mache sich der Wegfall von Fachmessen wie der Grindtec oder der Interlift bemerkbar. Tage und Wochen, in denen das einsmehr, so wie andere Hotels auch, mit seinen Übernachtungspreisen deutlich nach oben gehen konnte. Und jetzt? Leere Zimmer in den Ferien, wenig Betrieb in manch anderer Woche ohne große Veranstaltung in Augsburg oder München? Ja, aber … es gebe Überraschungen, freut sich Geschäftsführer Mack, wenn das Hotel plötzlich fast ausgebucht sei und man erst im Nachhinein darauf komme, dass sich Popsängerin Helene Fischer zu Konzerten in München angesagt hatte und tausende Fans eine Unterkunft brauchten – einige auch in Augsburg, im einsmehr.
Diskutiert wurde mit den Gästen des Presseclubs die Problematik der Ausbildung. Denn, so Mack, wer in Deutschland keinen Berufsschul-Abschluss hinbekomme, und das schafften geistig Behinderte in der Regel nicht, der könne auch keinen dem weltweit gelobten „dualen Ausbildungssystem“ gerecht werdenden Gesellenbrief erwerben. Die Lösung: Ähnlich wie andere Inklusions-Betriebe auch habe das einsmehr eine Akademie gegründet, wo die Mitarbeiter geschult werden. Noch eine Besonderheit dieses außergewöhnlichen Unternehmens. Nach einer Gesprächsrunde konnten die Gäste des Presseclubs bei einem Hausrundgang das Hotel erkunden.
Michael Siegel