Pack Deine Sachen und verschwinde von hier, der Krieg kommt


Beteiligte und Betroffene im Gespräch in Sachen Ukraine-Krieg und Flüchtlingshilfe auf dem Podium des Presseclubs

Bemerkenswerte Podiumsveranstaltung des Augsburger Presseclubs zum Krieg in der Ukraine im Veranstaltungsraum des Vereins „Tür an Tür“: Das Thema erlaubte es, dass neben den drei Gästen des Abends mit Moderatorin Marion Buk-Kluger (freie Journalistin) eine Beteiligte durch den Abend führte, nachdem die stellvertretende Presseclub-Vorsitzende kurz zuvor selbst einen Hilfstransport in die Ukraine begleitet hatte und an verschiedenen anderen Veranstaltungen etwa zur Spendengewinnung für die Ukraine mitgewirkt hatte. Eindrücklichster Teil des Abends war fraglos die Schilderung von Marina Plotnikova, die erst kürzlich aus ihrer ukrainischen Heimat Charkow nach Augsburg geflüchtet war. In Charkow, so berichtete Plotnikova, arbeitete sie an der Universität als Lehrerin, unter anderem für die deutsche Sprache, weswegen die Gäste des Abends ihren Ausführungen problemlos folgen konnten. Gleichwohl für die meisten Besucher – ebenso wie für die Betroffene – eine unvorstellbare Situation, dass plötzlich Freunde vor dem eigenen Haus stehen und dir erklären, dass Du am besten ganz schnell Deine Sachen packst und in wenigen Minuten verschwindest – aus Sicherheitsgründen, weil der Krieg kommt. Plotnikova erschrak mächtig und tat, wie ihr geheißen. Nahm ihren jugendlichen Sohn und ihre Mutter und flüchtete zunächst in die Westukraine, von wo aus sie bei Bekannten in Augsburg gelandet sei. Es sei Deutschland und den Deutschen gar nicht hoch genug anzurechnen, in welcher Weise sie vielen Menschen aus der Ukraine Hilfe leistete, so wie sie und ihre Familie selbst es in diesen Tagen erfahren würden, wo sie bei Bekannten (möglichst vorübergehenden) Unterschlupf gefunden habe. Leider, so bedauerte die Ukrainerin, habe sie in ihrem Leben derzeit keine Wahl, könne sie nicht tun und lassen, was sie gerne möchte. Sie habe keine Wahl, aber diese Wahl sei eine Gute, resümierte sie ihre Situation in Augsburg. Perspektivisch erklärte sie, unbedingt wieder in die Ukraine zurück zu wollen, um dort ihrer Arbeit, ihrem Leben nachgehen zu können. Realistischer sei dieser Tage, wo ihr Sohn bereits einen Platz an der Universität gefunden habe, der Versuch, eine eigene Wohnung in Deutschland zu finden, um eventuell hier einer Arbeit nachgehen zu können. Keine Zweifel ließ Plotnikova bei der Frage nach Waffenlieferungen an die Ukraine aufkommen, die sie bedingungslos unterstützte. Die Ukraine führe in diesen Tagen quasi stellvertretend für andere Staaten einen Krieg gegen Russland, den zu gewinnen von größter Wichtigkeit sei. In der Ukraine werde möglicherweise in diesen Tagen Europas Freiheit verteidigt und dazu sei alles Mögliche an Waffen nötig.

Ganz ähnlich äußerte sich in dieser Frage Philipp Blobel, zweiter Teilnehmer auf dem Podium. Blobel, 36-jähriger Unternehmer und bis vor kurzem Chef einer Beratungsfirma, geriet auf dieses Podium im Zusammenhang mit seinem ehrenamtlichen Einsatz als Mitglied des Augsburger Lions-Clubs „Elias Holl“ für die Ukraine. Der Club habe neben anderen Hilfslieferungen und Transporten sogar schon einen Operationssaal für das Krankenhaus in Tscherwonez organisiert und geliefert. Diesen Operationssaal schon am nächsten Tag von einem russischen Luftangriff beschädigt zu wissen, sei das Schlimmste, weswegen sich der vormalige Berufssoldat wünschte, alles an Waffen in die Ukraine zu liefern, was möglich sei.

Für ihn persönlich seien die ersten Fernsehbilder über den russischen Angriff auf die Ukraine der Auslöser gewesen, sich für dieses Land zu engagieren. Zu engagieren in einer Weise, wie es andere Organisationen oder Initiativen nicht könnten. Blobel verwendete den Begriff des „Speedboats“, als er die ersten Transporte von Lions in die Ukraine beschrieb. Aufgrund guter Kontakte zum örtlichen Gouverneur habe man Informationen darüber gehabt, was wo gebraucht werde – und man habe gehandelt. Dazu zählte auch der Transport von über 130 Flüchtlingen aus der Ukraine nach Schwaben, der Mithilfe von zwei dafür gespendeten Doppeldecker-Bussen des Reiseunternehmens Hörmann habe bewerkstelligt werden können. Blobel versuchte klarzustellen, dass die Hilfe von Lions nicht „aus der Hüfte“ geschossen, sondern durchaus sorgfältig geplant gewesen sei. Dennoch erlaube es die Struktur „seiner“ Organisation, anders zu handeln, als dies etwa große Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz oder staatliche Stellen können. Vor allem an professionelle, staatliche Stellen richtete sich Blobels Kritik, dass man aus der Flüchtlingskrise von 2015 „nichts gelernt“ habe. Auch jetzt wieder stoße man auf überbordende Bürokratie oder gefühlt lähmende Langsamkeit beim Bearbeiten bestimmter Vorgänge, wo es doch Eile. 

In gewisser Weise von Blobels Emotionen mit einbezogen fühlte sich – als Repräsentant – der dritte Teilnehmer des Abends, Michael Gebler, Kreisgeschäftsführer Bayerischen Roten Kreuzes (BRK), Augsburg-Stadt sowie ehrenamtlicher Vorsitzender und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Augsburger Hilfsorganisationen. Gebler stellte dar, warum das Rote Kreuz so arbeite wie es arbeite und dass dadurch manchmal der Eindruck entstehen könne „das könnte schneller gehen“. Beim BRK werde aber zum Beispiel mit Hilfstransporten erst losgelegt, wenn exakt feststehe, wer was wohin bringen solle, was wo gebraucht werde. Aus vielen Einsätzen in den vergangenen 20 Jahren schilderte Gebler den Fall, dass – ganz schnell- Winterjacken ins tropische Afrika geliefert worden seien, die dort gänzlich unbrauchbar gewesen seien. Derartige Fehlleistungen sollten unbedingt vermieden werden, weswegen man auch im Falle der Ukrainehilfe zunächst von eigenen „Kundschaftern“ einen Bedarf habe ermitteln lassen, bevor es auf die Reise ging. Und so sei auf diesem Transport eben keine Kinderkleidung gewesen – die als nicht notwendig erachtet wurde – dafür habe man umso mehr Schlafsäcke in das Kriegsgebiet gebracht in dem Wissen, dass dort viele Menschen beispielsweise bei winterlichen Temperaturen in Kellern oder U-Bahn-Schächten übernachten müssten. Gebler erklärte auch die verschiedenen Arten von Anforderungen, denen man als große Hilfsorganisation gegenüberstehe. Beispiel Flutkatastrophe im Ahrtal: Dort habe man umgehend an Ort und Stelle fahren und den unmittelbar Betroffenen Hilfe leisten können. Bei der Ukraine-Krise habe man es mit einem Krieg zu tun, es sei so gut wie unmöglich, in direkten Kontakt mit den Hilfsbedürftigen zu treten. Das gelte es zu bedenken, daraufhin müssten Planungen und Personal- wie Materialeinsatz abgestimmt werden. Nicht zuletzt habe man beim Roten Kreuz zu beachten, dass die Organisation auf den verschiedensten Tätigkeitsfeldern gefordert sei, mit (im Falle Augsburgs) Einsätzen bei Eishockey- und Fußball-Bundesligaspielen und Volksfesten – und dass dann gegebenenfalls plötzlich auftauchende Zusatzaufgaben wie jene der Flüchtlingshilfe für Ukrainer nur derart bewerkstelligt werden können, dass man (ehrenamtlichem) Personal andere Aufgaben zuweise. Generell trat Gebler dem Eindruck entgegen, dass in Augsburg und Schwaben bei der Ukrainehilfe vieles geholpert habe. Wie immer im Krisenfall habe es anfangs eine sogenannte „Chaosphase“ gegeben, diese sei aber schnell überwunden worden und inzwischen laufe die Hilfe ordentlich. Worauf Gebler abschließend auch hinwies: Es gelte zu beachten, dass mit einem Ende des Krieges noch lange, lange nicht das Ende von Hilfeleistungen für die Ukraine erreicht sei.

Michael Siegel


Fotos: Michael Siegel