Industriedenkmal bleiben und gleichzeitig Heimat für Kulturschaffende werden


Podiumsveranstaltung: Das Gaswerkgelände in Augsburg-Oberhausen

Kultureinrichtungen und kreativ Schaffende sind auf dem Gelände des ehemaligen Augsburger Gaswerks schon seit 2015 zu Hause. Insgesamt gebe es laut Betreiber hier bereits rund 80 Kulturschaffende sowie eine Reihe von Start-ups sowie Unternehmen der Kulturwirtschaft. Der weiteren Entwicklung soll nun mithilfe eines kreativen Kopfes, dessen Stelle von den Stadtwerken Augsburg als Hausherrin in diesen Tagen besetzt wird, ein entscheidender Schub gegeben werden. Wie sie sich die Zukunft des Quartiers vorstellen, darüber sprachen auf dem Podium in der Gaststätte Ofenhaus Augsburgs Kulturreferent Jürgen Enninger, Stadtwerke-Geschäftsführer Alfred Müllner sowie Peter Bommas, Geschäftsführer des Kulturparks West gGmbH. Den Abend moderierte Jürgen Kannler, Herausgeber der Zeitung a3kultur.

Auf Bitte von Kannler erläuterte „Hausherr“ Müllner eingangs die bauliche Situation auf dem großen Gelände mit seinen zahlreichen Gebäuden. An die 50 Millionen Euro hätten die Stadtwerke in das Gelände investiert, nicht zuletzt für eine komplette Bodensanierung der sieben Hektar großen Fläche. Müllner berichtete über die verschiedenen Ausbauzustände und die aktuelle Nutzung. Schon zu diesem Zeitpunkt benannte er eine „große Hypothek“, mit der die Stadtwerke als Eigentümer und alle Nutzer hier klarzukommen hätten: Die gesamte Anlage, vereinfacht gesagt eine rund 100 Jahre alte ehemalige Gasfabrik, steht unter Ensembleschutz und die einzelnen historischen Bauwerke unter Denkmalschutz. Jede Veränderung müsse mit dem Denkmalamt abgesprochen werden, gewisse bauliche Veränderungen seien von vorne hinein ausgeschlossen.

Wie es dennoch zu neuen, modernen Bauwerken auf dem Gelände kommen könne, erklärte Müllner anhand der sogenannten Musikbox, für die kürzlich der Grundstein gelegt worden war. Deren Entstehung nannte Müllner „ein Wunder“. Dieses Gebäude sollte eigentlich als Provisorium errichtet werden. Der von einem Architekturbüro vorgelegt Plan stieß aber auf solchen Gefallen bei den Zuständigen, dass man davon ausgehen könne, das die Musikbox dauerhaft auf dem Gelände werde stehen bleiben können. Die Musikbox wird ein fünfstöckiges Gebäude mit rund 50 Räumen für Musiker und Bands. Zudem entstehen Proberäume, die nicht dauerhaft an Mieter vergeben werden und somit stunden- oder tageweise angemietet werden können. Das oberste Stockwerk der Musikbox soll für Büros genutzt werden. Erstellt wird das Gebäude in einer größtenteils vorgefertigten Holz-Hybrid-Bauweise.

Dem Einwand von Moderator Kannler, dass das Gelände als Ort für Kulturschaffende zunächst nicht die Herzensangelegenheit aller bei den Stadtwerken oder im Augsburger Stadtrat gewesen sei, entgegnete Müllner, dass das Gaswerkgelände „sensationelle Perspektiven“ biete und schon heute keinen Vergleich mit Anlagen in anderen deutschen oder europäischen Städten scheuen brauche. Das Projekt, das eines der größten der Augsburger Stadtwerke sei, werde mit „ganz großer Leidenschaft“ verfolgt und „macht richtig Freunde“. Freilich sei es auch eine große unternehmerische Aufgabe, solle es sich doch in Zukunft zumindest selbst tragen.

Die Aufgabe, diese Zukunft noch besser zu bewältigen, soll mithilfe eines „Comunity-Managers oder einer -managerin/in für dieses Gelände gelingen. Müllner erklärte, dass er selbst als Techniker und Betriebswirt seine spezifischen Aufgaben bei den Stadtwerken habe wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch. Dass aber die als erforderlich erkannte noch bessere Vernetzung und Verankerung in der „Szene“ fehle. Um diese für ihn „andere Welt“ mit dem Gaswerkgelände noch mehr in Verbindung zu bringen, sei diese Position als Ergänzung des bestehenden Teams im Gaswerk ausgeschrieben worden. Dabei denke man neben der Akquise auch um Dinge wie das Netzwerken – wohlgemerkt auf professioneller Basis.

Ganz ähnlich wie für Alfred Müllner lautete die erste Aufgabenstellung für Peter Bommas, Manager des sogenannten Kulturpark West, diesen vorzustellen. Dieser liege eher zufällig direkt neben dem Gaswerkgelände, von diesem getrennt nur durch eine Bahnanlage. In diesen neuen Kulturpark West umgezogen oder geradezu herübergerettet worden seien etwa die Zeppelinhalle, das Vereinsheim „Bombig“ oder ein Biergarten, die zuvor auf dem Gelände in der Reese-Kaserne an der Ackermannstraße existiert hatten. Dort mussten sie wegen anderer städtebaulicher Nutzung weichen. Der (selbstverwaltete) Kulturpark West wende sich an ähnliche Zielgruppen wie das Gaswerk, auch hier gebe es Räume für Bands, Ateliers, Studios, Werkstätten, einen Bürokomplex. Nachdem das „Aus“ für die angestammte Fläche auf dem ehemaligen Kasernengelände in Kriegshaber verkündet worden war, sei dies „ein Schock“ für die Nutzer gewesen, zumal man das neue Gelände neben dem Gaswerk als nur begrenzt geeignet für die Nutzer erachtet habe. Dann aber ein Glücksfall: Von drei Investoren habe man das nun genutzte Gelände als Hauptmieter und Pächter erhalten können, nachdem auch das Nutzungskonzept befürwortet wurde. Die Investoren hätten überzeugt werden können, geringere Mieten zu akzeptieren, die aber ausfallsicher für einen längeren Zeitraum zugesichert werden konnten. Das Preisniveau für die Nutzer sei vergleichbar dem im Gaswerk. Bommas erwarte, dass die Nachbarschaft Synergien schaffen könne oder solle. Für Lacher sorgte Bommas Ankündigung, dass sich sein Team auf die Ausschreibung für die Stelle des Community-Managers für das benachbarte Gaswerkgelände beworben habe.

Dritter Gast auf dem Podium war Augsburgs Kulturreferent Jürgen Enninger. Er bezeichnete das Gaswerkgelände als „zentralen Motor der Kultur- und Kreativwirtschaft“. Dieses habe einen Auftrag, der zweifellos über die Stadtgrenzen hinaus glänze. Es handle sich um ein historisch einzigartiges Gelände, wo versucht werde, es mit allen modernen Mitteln, auch partizipativ, weiterzuentwickeln. „Wir habe das Areal, wir haben das Potenzial, wir habe die Bedeutung, Augsburg ist eine europäische Kulturmetropole“, so Enninger. Auf Nachfrage von Moderator Kannler bekundete er, dass Kultur in Augsburg mehr sei als eine „freiwillige Leistung“, als die sie offiziell firmiere. Kultur sei Treiber des gesellschaftlichen Miteinanders, das uns versöhnt, das uns verbindet, das uns bewegt. Das habe gerade die Zeit der Pandemie überdeutlich gezeigt. 

Dem Einwand Kannlers bezüglich eines kompletten Stillstands in Sachen Kultur bei der Stadt hielt Enninger entgegen, dass sich der Kulturbereich sehr wohl bewege. Dazu zähle der Bau des Theaters oder die Weiterentwicklung des Brechtfestivals ebenso wie das Schaffen vieler privatwirtschaftlicher Akteure.

Enninger nannte ein Förderprogramm für Stadtteilkultur. Zusätzlich werde man in den Stadtteilen „Hearings“ machen zu örtlichen Bedarfen. Nicht zuletzt wolle man aktiv auf die freie Szene zugehen und diese stärken. Für derartige Bemühungen erhielt Enninger Zuspruch von Peter Bommas: Enninger sei – mit Blick auf seine Vorgänger im Amte des Kulturreferenten – der Erste, der die Bedeutung und die Produktivität der freien Szene hervorhebe. Lange habe es keinen Zugang der Stadtpolitik zur freien Szene gegeben. Im Stadtrat sei es zumeist um Hochsubventioniertes gegangen wie das Theater oder Festivals. Nun endlich werde auch das gesehen, „was sich da von unten hervortut und bewegt“, ohne Anstöße aus der Stadtpolitik zu brauchen.

Fast, als seien sie engagiert worden, um den Podiumsteilnehmern zu huldigen, hörte sich das an, was drei unter den Gästen weilende Kulturschaffende und Nutzer auf dem Gaswerkareal äußerten. So die Fotografin Sigrun Lenk. „Phantastisch“ nannte sie die Möglichkeiten, die sich auf diesem Gelände, in ihrem Studio, für sie als Architekturfotografin böten.

Andy Schindler, Betreiber eines Tonstudios, tat seine anfängliche Skepsis gegenüber dem Gelände und dessen Betreiberschaft kund, nachdem er zuvor zehn tolle Jahre im Kulturpark West gehabt habe, wo er sehr ungern weggegangen sei. Zunächst sei er nur „sehr froh“ gewesen, dass er hier einen Raum bekommen habe. Inzwischen sei er zudem „sehr positiv überrascht, sehr angetan“, das Gaswerkgelände sei „eine coole Sache.“

Geradezu euphorisch äußerte sich Silvia Hollweg, deren Metier die kinetische Malerei in venezolanischer Tradition ist (dabei werden Bilder auf Leinwand nach dem Prozess des Malens teilweise in Streifen geschnitten. Diese Streifen werden dann in gleichmäßige Spiralen gedreht, was ihren Kunstwerken Plastizität, ja Dreidimensionalität verleiht). Die Venezolanerin ist „super froh über das tolle Atelier“, das sie im Ofenhaus habe. Ziehe sie den Vergleich mit New York, Barcelona oder London, wo sie auch schon gearbeitet habe, sei Augsburg sehr positiv. Es habe ein „sehr cooles Gelände.“ Sie forderte die Anwesenden zu mehr Kommunikation nach außen auf: „Alle Welt soll erfahren, dass es das Gaswerk gibt.“

Wie alle Redner zuvor hatte freilich auch Hollweg Kritik oder zumindest Wünsche offen. Ihr fehle – ein bisschen wohl auch coronabedingt – die „Community“. Im Alltag fühle sie sich in ihrem Atelier recht alleingelassen, sagt sie mit Blick auf ihren elektronischen Hausschlüssel, was spontane Besuche Kunstinteressierter nahezu unmöglich mache. Unbedingt kommen müsse eine Brücke über die trennenden Bahnschienen zwischen dem Kulturpark West und dem Gaswerksgelände, forderte Andy Schindler – „oder ein Tunnel untendurch“. Dazu hoffe er auf regelmäßige Auftritte der Musikszene, zum Beispiel von der Musikloggia der geplanten Musikbox. Mehrere Redner wünschten sich vor allem eine unproblematische, „niederschwellige“ Möglichkeit des alltäglichen Zusammenkommens. Dafür sei eine sogenannte „Garage“ als Treff im Gespräch, die sehnlichst erwartet werde, um sich zum gemeinsamen Gedankenaustausch bei einem Kaffee oder einem Glas Wein treffen zu können. Stellvertretend zu einem anderen Thema, was Peter Bommas formulierte: Treffpunkte, Veranstaltungsräume zu schaffen, um noch vermehrt Menschen aus den umliegenden Stadtteilen auf das Gelände zu locken.

Dem Podiumsgespräch schloss sich eine Diskussionsrunde mit den Gästen der Veranstaltung an. 

Michael Siegel


Fotos: Klaus Rainer Krieger