„Wir können mehr als wir verantworten können“


Gesprächsrunde mit Weihbischof Dr. Dr. Anton Losinger in der Hofschänke Losinger über „Gott und die Welt“ zum Spargelessen

Der Programmcode selbstfahrender Autos, die Umstände von Präimplantationsdiagnostik, die Frage nach einem Beichtroboter – durchaus ungewöhnliche Themen, denen sich die Gäste des Augsburger Presseclubs im Umfeld eines gemeinsamen Essens widmeten. Die ganze Geschichte: Mitglieder des Presseclubs waren zum Ende der Saison zum Spargelessen in der Hofschänke Losinger in Friedberg-Wulfertshausen zu Gast. Losinger? Ja, so heißt auch einer der beiden Weihbischöfe des Bistums Augsburg, von dem bekannt ist, dass er aus Friedberg stammt. Eben dieser Weihbischof Anton Losinger (seiner und der Vater des Gastwirts waren Vettern) war Gesprächspartner des Presseclubs. Unter der Moderation von Alois Knoller, Redakteur der Augsburger Allgemeinen Zeitung ging es um „Gott und die Welt“.


Anton Losinger (seinerzeit noch 60 Jahre alt) empfing im Jahr 1983 die Priesterweihe vom damaligen Diözesanbischof Josef Stimpfle. Er besitzt zwei Doktor-Titel, einen in Theologie und einen in Volkswirtschaft. Nach seinen Studien lehrte Losinger als Gastprofessor zunächst an der katholischen Universität in Washington (USA), bevor er Priester in Irsee, dem kleinen Ort mit dem großen (ehemaligen) Kloster mit dem schwäbischen Bildungszentrum wurde. Im Jahr 2000 wurde er vom damaligen Papst Johannes Paul II zum Weihbischof ernannt. Immer wieder war und ist Losinger seitdem als Vertreter der katholischen Kirche Mitglied in verschiedenen Kommissionen und Räten. So gehörte er von 2005 bis 2016 dem deutschen Ethikrat an. Er ist seit 2009 Mitglied der Bioethik-Kommission der bayerischen Staatsregierung und gehört seit 2011 dem Senat der Max-Plank-Gesellschaft an. Im Jahr 2015 wurde Losinger zum Stiftungsratsvorsitzenden der Katholischen Universität Ingolstadt-Eichstätt berufen, zudem wurde er zum Bischofsvikar für Bioethik und Sozialpolitik ernannt und er ist Mitglied der Kommission für Wissenschaft und Kultur der Deutschen Bischofskonferenz. 2016 war der Weihbischof Mitglied der Ethikkommission des Bundesverkehrsministeriums für autonomes Fahren. Warum das alles mit den Räten und Kommissionen? Heutige Prozesse haben, so Losinger, ein ungeheures Tempo, wo selbst die Politik teilweise zurückbleiben muss – und Ethikräte braucht: Genannt sei das autonome Autofahren. Das „heilige Blechle“ sei tief im Denken der Menschen verankert, Mobilität sei dem Menschen wichtig, müsse aber reguliert werden. Der Mensch müsse sich Gedanken darüber machen, das Lenken eines Autos der Automatik zu überlassen. Zu klären sei, was in Dilemma-Situationen passieren soll, wie ein Auto sich beispielsweise verhalten müsse, wenn es auf einen unvermeidlichen Unfall zusteuert. Denn, so Losinger: „Der gefährlichste Problemgenerator ist der Mensch.“ Die Frage für die Kommission lautete entsprechend, ob die menschliche Fahrfähigkeit digital „overruled“ (überstimmt) werden dürfe. Wie gehen wir damit um, wenn wir wissen, dass schon heute annähernd 100 Prozent aller schweren Auffahrunfälle von Lkw auf Autobahnen verhindert werden könnten, wenn man entsprechende Technik verpflichtend einsetzen würde, so Losinger. Wem gehören welche Daten, die eine im Auto eingebaute Black-Box laufend speichere, wer dürfe auf diese zurückgreifen, wer sie auswerten? Gerade Journalisten gehören nach Losingers Einschätzung zu den ersten, die mit „Big Data“ mit als erste zu tun bekommen werden.
Der Weihbischof berichtete von seinem persönlichen Erlebnis einer pilotierten Autofahrt mit einem entsprechenden Audi S 7 „Jack“ auf der Teststrecke der Autobahn 9 zwischen Ingolstadt und Nürnberg, zu der er als Kommissionsmitglied eingeladen war. Zunächst sei er etwas irritiert gewesen, als nach der ganz normalen Fahrt zur Teststrecke hin das Auto das Kommando übernommen habe. Auffällig, wie perfekt das Auto dann fuhr, sich an alle Regeln hielt und betont defensiv fuhr. Das alles vor der ethische Frage: Wie soll ein solches digitales Auto mit einer Unfall-Situation umgehen, wenn die Tötung eines Menschen nicht ausgeschlossen ist? Dazu, so Losinger, habe die Kommission ethische Regeln entworfen: Niemals dürfe demgemäß die digitale Technik einen Menschen nach persönlichen Merkmalen wie Alter, Geschlecht, körperlichem oder geistigem Zustand beurteilen und gleichsam zur Tötung freigeben. Vielmehr müsse es das Ziel jeder Programmierung sein, dass es bereits im Vorfeld nie zu einer solchen Situation kommt. Gleichsam ein eingebauter Zufallsgenerator, der über Leben und Tod im Straßenverkehr entscheidet, sei undenkbar. Es dürfe keine Auswahl durch die Technik geben. „Die Würde des Menschen ist unantastbar, so Losinger in Bezug auf das Grundgesetz, und er sei damit unvergleichbar. Eine künftige Black-Box werde beispielsweise einen betrunkenen Fahrer eliminieren, werde unsichere Fahrer anhalten. Erste Regel des pilotierten Autofahrens sei die Erhöhung der Sicherheit im Straßenverkehr. Seine Mitwirkung in der Kommission begründete Losinger mit der Bedeutung von Mobilität für die menschliche Gesellschaft. Mobilität sei ein Teil der menschlichen Entwicklung. Wo Mobilität beeinträchtigt wird, könne sich menschliche Gesellschaft nicht entwickeln. Für eine alternde Gesellschaft biete derartige Mobilität einen positiven Ansatz.


Ob es denn erlaubt sei, beispielsweise Spargel gentechnisch zu optimieren? Für den Themenbereich Biogenetik unterstrich Losinger, dass sich durch Kenntnis der Genetik in der Diagniostik und Therapie erhebliche Verbesserungen ergeben können. Neue Heilungschancen und Therapien, die der Mensch sich aber durch neue Probleme erkauft: Was ist, wenn durch eine sehr genaue genetische Diagnostik an einem Menschen ein Gendefekt festgestellt wird? Bekommt er keine Lebensversicherung mehr, zahlt er einen höheren Krankenkassenbeitrag, muss er einen Gentest für jeden neuen Job absolvieren?
Losinger thematisierte die Sicht der Kirche hinsichtlich eines möglichen Eingriffs in die menschliche Genetik vor oder nach der Geburt. Und die Möglichkeit eines Gen-Checks im Zusammenhang mit außerkörperlicher Befruchtung (Leihmutterschaft), Präimplantationsdiagnostik: Kann ich, darf ich einen genetisch defizitären Embryo verwerfen? „Welches Menschenbild garantieren wir als Kirche, wenn Leben verworfen werden kann“, fragte der Weihbischof. Dazu die Problematik der genetischen Optimierung des Menschen, wenn mittels Neuro- und Psycho-Selektion nicht mehr nur Haut- und Augenfarbe, Größe oder Geschlecht ausgewählt werden: Mittels sogenannter Gen-Scheren, in der Therapie von Krankheiten ein erwünschter Fortschritt, bestehe aber auch die Möglichkeit der Optimierung des Menschen. Wer entscheidet am Ende, was zulässig ist und was nicht, wer schafft Regeln? So werde ein Eingriff in die menschliche Keimbahn von der Theologie als höchst bedenklich und unvereinbar dargestellt. Sie wäre dann positiv zu bewerten, wenn sie therapeutisch funktioniert, aber keine dieser Therapien sei bisher 100-prozentig sicher.


Ein Gesprächsthema war das der künstlichen Intelligenz (KI), „der Roboter überholt uns eines Tages“. Als Stiftungsratsvorsitzender der katholischen Universität Ingolstadt-Eichstätt freute sich Losinger über eine 7,5-Millionen-Euro-Förderung für Forschung der Uni, um in Sachen KI auch aus geisteswissenschaftlicher Warte arbeiten zu können. „Wir werden selbstlernende Systeme bei der Entwicklung therapeutischer und diagnostischer Medizin haben, aber wir werden sie auch in der Militärtechnik, Stichwort Drohnen, haben, gleichsam eine Optimierung der Tötungsstrategie. Wir werden eine ganze Reihe von Fragen haben, mit der sich die Menschheit auseinanderzusetzen haben wird“, so der Weihbischof.
Er stelle in sämtlichen Ethikräten, denen er angehörte und angehört, eine erhöhte Aufmerksamkeit für religiöse Fragen fest – anders als noch in den 80er-Jahren. Warum? „Weil wir mehr können, als wir verantworten können“.
Ob es denn dereinst neben Pflegerobotern auch Priesterroboter geben werde, wurde der Geistliche gefragt. „Ein Beichtroboter ist Nonsens wie ein Erziehungsroboter“, so Losinges Antwort. Glaubensentstehung, Glaubensentwicklung hänge untrennbar mit Menschen zusammen, die menschliche Kommunikation sei hier der wesentliche Faktor.


Nicht fehlen durfte eine Frage zum neuen Papst Franziskus. „Ich bin ein Fan von Papst Franziskus, bin ihm schon des Öfteren begegnet“, so Losinger. Franziskus sei durchaus ein Leuchtturm für die kriselnde Kirche in Europa. Auch für eine Fortsetzung des Gesprächs mit dem Weihbischof wurde bereits der Grundstein gelegt. „Opa, das glaube ich nicht, dass Jesus über das Wasser laufen konnte“, war ein Teilnehmer der Runde von seinem ministrierenden Enkel kompromittiert worden und dieses Anliegen gab er an den Bischof weiter. Die Sache mit Wundern sei Thema für einen ganzen eigenen Abend, zeigte sich Losinger gesprächsbereit.
Begleitet wurde die Gesprächsrunde von einem leckeren Spargelessen, das neben dem Gemüse auch Salzkartoffeln, panierte Schnitzel, eine Schinkenauswahl sowie Sauce Hollandaise oder zerlassene Butter beinhaltete.
Michael Siegel


Fotos: Klaus Rainer Krieger