Instrument und Motor der Stadtentwicklung


Podiumsgespräch mit „Mister Trambahn“, Herbert König, über die weltweite Renaissance der Straßenbahn

Weltweit stöhnen Städte über ihre schlechte Luftqualität. Heizungen der Bewohner, Industrieanlagen aber auch der Verkehr belasten die Umwelt. In Sachen Reduzierung des Autoverkehrs könnten auch Straßenbahnen ihren Beitrag leisten. Im Georgenkeller des Augsburger Presseclubs war jetzt Herbert König, der „Mister Trambahn“ zu Gast, um über „die weltweite Renaissance der Straßenbahn“ zu sprechen (so hatte König seine Präsentation überschrieben). Moderator des Abends war Presseclub-Beiratsmitglied Kurt Idrizovic. König, gebürtiger Augsburger (Jahrgang 1952) war 1978 jüngster Stadtrat der Fuggerstadt, von 1985 bis 1992 Gründungsgeschäftsführer des Augsburger Verkehrsverbundes (AVV), schließlich 24 Jahre lang bis zu seinem Ruhestand im Oktober 2016 Geschäftsführer Verkehr der Stadtwerke München und Chef der Münchner Verkehrsgesellschaft. Ehrenamtlich war er viele Jahre als Vertreter aller deutschen U-Bahn- und Straßenbahnbetriebe Vizepräsident des VDV (Verband deutscher Verkehrsunternehmen), ferner bis vor wenigen Wochen auch Vizepräsident des Weltverbandes UITP (International Union of Public Transport).


Historisch betrachtet benannte König die erste Pferdebahn in New York von 1832 als möglichen Urahn der Straßenbahn. Das später motorisierte, elektrifizierte Verkehrssystem erwies sich als Erfolgsmodell, 1920 fuhren Straßenbahnen schon in über 3000 Städten. Dann ab Mitte des 20. Jahrhunderts folgte eine Depression, geschuldet nicht selten einer Bevorzugung des Autoverkehrs (teils von der Industrie unterstützt). Bis 1980 sei es zu vielen Stilllegungen gekommen, vor allem in den USA, auch in Frankreich oder in Deutschland. Großstädte wie Hamburg, Saarbrücken oder Aachen gelten als Straßenbahn-frei, auch in Augsburg wurden drei Linien zurückgenommen. Am Beispiel München zeigte König auf, wie Bürgerproteste die Straßenbahn gerettet haben.
Vor allem nach 1980 sei ein Comeback der Straßenbahn zu beobachten gewesen. Es gab einen Trend zu Modernisierung, Ausbau, Neubau, vor allem in den USA und Westeuropa. Auch in vielen chinesischen Städten folgten Straßenbahnnetze auf den Bau einer Metro. Über 100 Systeme seien in Planung. Selbst in Deutschland kam es zu Wiedereinführungen, sogar grenzüberschreitend wie in Weil am Rhein mit dem schweizerischen Basel oder in Kehl mit dem französischen Straßburg.


Drei zentrale Motive benannte König für den neuen Erfolg von Straßenbahnsystemen: Sie bildeten ergänzende Systeme zu Metros und Schnellbahnen, etwa wenn weitere Metro-Linien zu aufwändig wären oder Busse zu klein sind (Beispiele: Paris, Rio, Melbourne, Istanbul, Dubai, München). Sie können Personennahverkehrs-Hauptlastträger in ganz unterschiedlich großen Städten bilden, in Gmunden (Österreich, 13.000 Einwohner) und Ulm (122.000 Einwohner) genau so wie in Jerusalem (800.000 Einwohner).


Wichtig sei auch die Funktion als Stadtumlandbahnen zur Verknüpfung von Stadt und Region wie die Beispiele von Karlsruhe, Basel oder Zwickau zeigten. Gründe für die Renaissance der Straßenbahnen gibt es laut König verschiedene: Sie böten ein besonders breites Kapazitätsspektrum (130 bis 500 Plätze), setzten Stadtentwicklungsachsen, seien gelebte Elektromobilität, prägten das Ortsbild und könnten Imageträger sein. Auch seien sie laut vielen Erhebungen das attraktivere Verkehrsmittel gegenüber dem Bus. Zudem schafften sie Verkehrsentlastung und: „Touristen lieben Straßenbahnen.“


Ein Vorteil von Straßenbahnen sei ihre Modulbauweise, die unterschiedliche Längen ermögliche, unterschiedliche Bestuhlungs- oder Türvarianten. Zudem sei Raum für Kinderwagen und Rollstuhlfahrer herstellbar. Ganz wichtig: Die Funktion der Tram als Instrument und Motor der Stadtentwicklung. Schon im vergangenen Jahrhundert hätten Straßenbahnen große Industriegebiete ermöglicht oder Zentren erreichbar gemacht. Tramprojekte könnten heute als Signal, Symbol und Motor eines Strukturwandels gesehen werden: In Straßburg soll eine moderne Tram Autofreiheit schaffen, in Bordeaux mit ihrer Hilfe ein altes Hafenquartier in ein neues Zentrum umgewandelt werden. Auch in München-Pasing soll eine Tram-Linie als Strukturachse Voraussetzung für verdichtetes Bauen eines neuen Stadtteils bilden.


Vorteile von Straßenbahnen könnten auch besonders begrünte Bahnkörper sein, dass sie in Fußgängerzonen, Grünanlagen, oder Parks fahren können und dass sie in sensiblen Bereichen inzwischen bis zu einem Kilometer allein mit Batterietechnik fahren können. Zudem könne die Tram das Stadtbild und -Image maßgeblich prägen.
Gerade an diesem Punkt setzte Kritik der Presseclub-Besucher an den Zuständen der Augsburger Straßenbahnen an. Durch ihre großflächige bunte Werbebeklebung verlören die Fahrzeuge jedwede Funktion als städtischer Imageträger. Besonders kurios sei es, wenn auf der Straßenbahn als Träger des öffentlichen Personennahverkehrs Werbung für neue Automodelle gemacht würde. Gefragt, ob es die Politik in Sachen Innenstadt-Verkehr nicht zu sehr allen recht machen wolle, lobte König den Mut der Augsburger Stadtväter. Mit ihrer Entscheidung zum Königsplatz-Umbau und den damit einhergehenden Verkehrsverlagerungen habe Augsburg mehr Mut für seine Straßenbahn bewiesen, als dies beispielsweise München in den letzten Jahren tat.


Ein Thema der Aussprache war (bezugnehmend auf die aktuelle Augsburger Diskussion) die Frage nach der Attraktivität eines Tarifsystems. Laut König gelte prinzipiell „einfach, aber ungerecht oder gerecht, aber kompliziert“. Es sei die Aufgabe der Politik, hier einen Kompromiss zu finden. Einen allumfassend gelobten Tarif habe noch nie einer geschafft. Wer (Fahrgast, Steuerzahler) wie viel zahlt, sei eine politische Entscheidung.
Königs abschließende Einschätzung: Die Straßenbahn könne Städten wichtige Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Als attraktives, flexibles Verkehrssystem wird es sie in Großstädten auch noch in 50 Jahren geben.
Michael Siegel


Foto: Michael Siegel