Bauen, fahren, wohnen


Podiumsgespräch mit den „Top-Drei“ der Bewerberinnen und Bewerber um das Amt des Augsburger Oberbürgermeisters

Mitte 50, anerkannt und erfolgreich, stellvertretender Parteivorsitzender der bayerischen CSU – nicht wenige hatten erwartet, dass Kurt Gribl nach zwei Amtsperioden im März 2020 ein weiteres Mal für das Amt des Augsburger Oberbürgermeisters kandidieren würde. Um so überraschender seine Absage einer Kandidatur vor einigen Monaten – eine Absage, die ein gutes Dutzend Nachfolgekandidaten in Augsburg auf den Plan gerufen hat. Darunter sind Eva Weber (CSU), Martina Wild (Grüne) und Dirk Wurm (SPD). Die drei „Top-Kandidaten“, wie es die Moderatoren Wolfgang Bublies (Presseclub-Vorsitzender) und Anja Marks-Schilffarth (beide Augsburg-Journal) nannten, hatte jetzt der Augsburger Presseclub zu einer Matinee in den Mozartsaal des Kongress am Park eingeladen.

Eva Weber ist 42 Jahre alt, gebürtige Allgäuerin, verheiratet und studierte Juristin. Derzeit ist sie zweite Bürgermeisterin von Augsburg und Wirtschaftsreferentin. Martina Wild ist ebenfalls 42 Jahre alt, studierte Historikerin und seit 16 Jahren Stadträtin in Augsburg. Die Mutter dreier Kinder sitzt seit 2014 der Fraktion der Grünen vor. Dirk Wurm ist 40 Jahre alt, verheiratet, Vater dreier Kinder und aktuell Ordnungsreferent der Stadt Augsburg. Wurm ist studierter Diplom-Politologe.

Um ein anderes Format als bei ähnlichen Diskussionsrunden einzuziehen, gab es beim Presseclub selbst wählbare Überraschungs-Fragekärtchen oder Schnellfragerunden, die allein per Signal mit „JA“ oder „NEIN“ zu beantworten waren (Beispiel: Wird es in Augsburg eine Bürgermeister-Stichwahl geben? Antworten: Weber „NEIN“, Wild „JA“, Wurm „JA“).

Im Zentrum der Veranstaltung standen aber zwei Themen, die die Augsburger Stadtpolitik viel beschäftigen, nämlich die Wohnungssituation und die Mobilität.

Angesprochen auf die Grünen-Forderung, alle Autos aus der Innenstadt zu verbannen, erklärte Martina Wild, dass dies realistisch sei. Sie und ihre Partei wollten die autofreie Altstadt und Maximilianstraße mit den Bürgerinnen und dem Handel besprechen. Das Ziel sei klar, geredet werden müssen über den Weg dorthin. Dirk Wurm stellte die Frage nach Alternativen voran. Die Menschen bräuchten einen bezahlbaren, leistungsfähigen Nahverkehr und den Ausbau für den Radverkehr. Der Durchgangsverkehr solle aus der Altstadt raus, Anwohner müssten aber in ihre Quartiere, Garagen, Grundstücke einfahren können. Eva Weber machte klar, dass aus ihrer Sicht eine absolut autofreie Innenstadt unrealistisch sei. Es solle mehr Lebensqualität geben, sie hatte kürzlich ein Gespräch mit Bürgern der Maximilianstraße geführt. Auch sie wolle Bewohner der Altstadt und Maxstraße nicht aussperren. Sie wolle den engen Dialog mit dem Einzelhandel, dessen Wunsch, dass die Kunden möglichst nahe vor dem Laden parken könnten, noch nicht so alt ist. Bezüglich der Parkhaussituation gebe es, so Weber, Stoßzeiten nur an den vier Adventssamstagen, sonst gebe es wenig Probleme. Aber: Die Parkhäuser in Augsburg stammten teils noch aus den 70er Jahren, viele Autofahrer suchten für ihre inzwischen breiteren Fahrzeuge lieber Parkplätze am Straßenrand. Martina Wild bekundete, die Zukunft der Mobilität generell gestalten zu wollen. Das heiße, durch den Ausbau von Radverkehr, öffentlichem Personennahverkehr (ÖPNV) und der Verlängerung von Straßenbahnlinien diese Mobilitätsformen attraktiver als das Auto zu machen. Es gehe nicht darum, Autofahrer umzuerziehen oder sie zu diskriminieren. Sie wolle statt dem aktuell vermittelten Anreiz, bequem mit dem Auto bis in die Innenstadt zu fahren lieber die Botschaft vermitteln, eine Straßenbahnhaltestelle anzusteuern und mit Tram und Bus in die Innenstadt zu fahren. Dirk Wurm diagnostizierte, dass die Abstellmöglichkeiten für Autos (Parkhäuser) nunmal in der Innenstadt seien, nicht drum herum. Augsburg brauche mehr Pkw-Abstellplätze am ÖPNV. Von Eva Weber auf die Finanzierung angesprochen, erklärte Wurm, dass er neben der Finanzierung durch die Nutzer von Bus und Straßenbahn auch die Finanzierung durch den Steuerzahler wolle. Martina Wild plädierte dafür, Parkgebühren zu erhöhen und die Semmeltaste (30 Minuten kostenfreies Parken an Parkuhren) abzuschaffen, um den Mehrerlös in den ÖPNV zu investieren. Während der ÖPNV-Fahrpreis regelmäßig erhöht werde, seien die Parkgebühren seit Langem stabil. Bis zu drei Euro pro Stunde für einen öffentlichen Parkplatz (statt bisher höchstens zwei Euro) und das Vorziehen der 9-Uhr-Grenze (bis dahin parkt man gratis) – darüber sei zu reden.

Dann ein Blick in die Zukunft der städtischen Mobilität im Jahr 2026: Hier erwartet Eva Weber intelligent vernetzte Mobilitätssysteme, beispielsweise zwischen P+R-Plätzen und dem ÖPNV oder Leihwagen. Das Auto werde in der Stadt an Bedeutung verlieren. Laut Martina Wild werde sich Bike- und Carsharing verstärken, die Straßenbahnlinie 3 (nach Königsbrunn) werde vorhanden sein. Auch die Mobilitätsdrehscheibe (Königsplatz und Hauptbahnhof) werde fertig sein, man müsse bei der Linie 5 (zum Uniklinikum) vorankommen. Es werde Ringschlüsse bei Buslinien geben und einen Radschnellweg nach Königsbrunn. Laut Dirk Wurm müsse die Linie 5 auf der optimalen Trasse zum Uniklinikum fahren, sie habe zudem Zubringerfunktion für den Landkreis. Nach seiner Einschätzung müsse bei der Routenplanung die Rosenaustraße eingebunden werden.

Beim zweiten großen Diskussionsschwerpunkt, dem Thema Wohnen, legte SPD-Kandidat Wurm einen Fokus auf die soziale Bodennutzung. Sie werde dringend gebraucht, ebenso wie eine Quote für einkommensorientierte Wohnbauförderung. Wurm bestätigte, dass beim Wohnbau ein Preisniveau erreicht sei, was die Herstellungskosten so verteuere, dass Wohnungen für Normalverdiener kaum noch finanzierbar seien. Martina Wild forderte, eine Neujustierung solle gemeinsam diskutiert und verabschiedet werden. Die Quote sei EIN Baustein, man brauche zudem einen Grünwert, brauche Förderung für genossenschaftliches Bauen und Wohnen, brauche mehr städtischen Boden in Erbpacht, brauche Satzungen für Milieuschutz und Erhaltung, auch für Fassadenbegrünung. Laut Eva Weber wir müsse mehr gebaut und mehr Wohnraum geschaffen werden – Bauen in allen Lebenslagen, für Azubis ebenso wie für Alleinerziehende und Ältere. Laut Weber seien in Augsburg aktuell Genehmigungen erteilt für 4000 neue Wohnungen, „da kann heute der Bagger kommen.“ Neben der Schaffung von gefördertem Wohnraum für Menschen mit kleinem Einkommen forderte Weber auch Wohnungen für diejenigen, „die Einkommenssteuer zahlen“. Augsburg brauche eine Mischung. Diese mit Satzungen zu verwirklichen hielt sie nicht für hilfreich, „wir müssen uns die Einzelfälle anschauen.“ Ähnliche Meinungen der „Top-Drei“ gab es bei der Frage nach der Beschleunigung von Bauanträgen, wo die Digitalisierung – nicht sofort – weiterhelfen könne. Allerdings, so Dirk Wurm, werde nicht alles einfacher, man brauche wohl für Bauvorhaben weiter die Unterschriften der Nachbarn. So bleibe das Klagerisiko. Martina Wild verwies auf die Versuche der Stadt, zusätzliche Fachkräfte zu gewinnen. Nicht alles liege aber an der Stadt, auch Planer und Baufirmen spielten bei der Dauer von Baumaßnahmen ihre Rolle. Eva Webers Credo: „Wir und die Gesetze müssen sich verändern“, es gebe vielfältige Ansatzpunkte zur Beschleunigung von Baumaßnahmen.

In der Frage nach einem Mietenstopp, einer Mietpreisbremse, erklärte Dirk Wurm: „Die brauchen wir“, ein entsprechendes Begehren habe er auch selbst unterschrieben. Der Stopp bringe anders als kolportiert die Bautätigkeit nicht zum Erliegen. Das Einfrieren der Preise schaffe aber die Zeit, „die wir als Stadt für die Umsetzung brauchen.“ Martina Wild erklärte, Bauen und Wohnen seien zu einer sozialen Frage geworden. Dabei gehe es weniger um Uniprofessoren als um den Postboten oder die Altenpflegerin. Man habe in der Partei intensiv diskutiert, müsse die Palette an Möglichkeiten in der Stadt spielen, müsse steuernd eingreifen via Mietpreisspiegel, Quote, Bremse. Eva Weber brach eine Lanze für private Vermieter, von denen viele mit sozialer Brille unterwegs seien, die eben nicht die bösen Miethaie seien. Von einem Volksbegehren zu einem Mietenstopp halte sie nichts, „dadurch gewinnen wir nichts“. Die städtische Wohnbaugesellschaft (WBG) müsse die Leistungen, die die Stadt von ihr abverlange, durch Mieteinnahmen auch erwirtschaften können.

Zuletzt ging es im Programm um Verflechtungen zwischen der Stadt Augsburg und ihrem Umland. Eva Weber erklärte, dass man in Augsburg und den Nachbargemeinden eng im Austausch über die Entwicklung der Region stehe. Derzeit mache man eine Flächenentwicklungsstudie, die klären soll, wo in der Region Flächen wofür entwickelt werden können. Stets im Austausch stehe man auch, um gute Mobilität, einen guten ÖPNV zu gewährleisten. Weber: „Wir können das Wachstum, das wir erleben, miteinander gestalten, wir haben hier noch alles in der Hand.“ Dirk Wurm stellte eine gute Verkehrsanbindung des Umlandes an die Stadt Augsburg oben an. Man brauche das dritte und das vierte Gleis für den Regio-Schienentakt. Wichtig sei auch, im Umland Wohnraum zu schaffen, der angenommen wird, um den Wohndruck in Augsburg zu vermindern. Martina Wild unterstrich die gute Zusammenarbeit zwischen Stadt und Umlandgemeinden. Sie wünschte sich vom regionalen Planungsverband, die Aufgabenfelder Bauen und Wohnen besser zu bearbeiten. Bei der Mobilität müsse mehr regional gedacht werden, sie verwies auf Straßenbahnlinien ins Umland ebenso wie Radschnellwege oder die Schaffung einer regionalen S-Bahn.

Anschließend an das Programm der Moderatoren hatten die Gäste der Veranstaltung die Gelegenheit, Fragen an die OB-Kandidatinnen und den Kandidaten zu richten. Dabei ging es um den Klimawandel ebenso wie um den Tierschutz oder das Thema Inklusion.

Bereits vor der Podiumsdiskussion erwartete die zahlreichen Gäste ein Imbiss und Getränke des Teams vom Kongress im Park. Für die Musik vor, während und nach der Veranstaltung sorgte Pianist Friedrich Jachontov.

Michael Siegel


Bilder: Klaus Krieger