80 Jahre nach Gründung der Nachkriegszeitungen haben diese einen schweren Stand gegen die Übermacht der großen digitalen US-Plattformen
Nach der Gleichschaltung unter der Naziherrschaft kamen mit dem Sieg der Alliierten 1945 dank der zahlreichen Neugründungen auch Vielfalt und Demokratie zurück in die Zeitungen. 80 Jahre später gelten die traditionsreichen Verlagsunternehmen zwar unwidersprochen als systemrelevant für Demokratie und Meinungsvielfalt in Deutschland. Doch nie hatten Qualitätsjournalismus und die dafür notwendige gesunde wirtschaftliche Basis einen so schweren Stand wie heute. Darüber diskutierte der Augsburger Presseclub mit Stefan Hilscher, Vorstandsvorsitzender Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV). Hilscher stellte bei dem Talk fest: „Es muss sich viel verändern, damit guter und unabhängiger Journalismus erfolgreich und finanzierbar bleibt.“
Hilscher wünscht sich neben „wirtschaftlicher Waffengleichheit“ gegenüber den übermächtigen digitalen Plattformen der milliardenschweren US-Techkonzerne einen offeneren Geist in den Redaktionen für neue Ideen und Geschäftsmodelle. Um Reichweite insbesondere bei Jüngeren zu erzielen, müssten Journalistinnen und Journalisten mehr Flexibilität zeigen und sich auf die digital geprägten Bedürfnisse der 30-bis 45-Jährigen einstellen. „Dazu gehört die Bereitschaft, Neues auszuprobieren und auch schnell wieder zu verwerfen, wenn es in der Praxis nicht funktioniert.“ Die Wochenzeitung „Die Zeit“ (Hamburg) und die Mediengruppe Madsack (Hannover) etwa sieht er mit deren vielen erfolgreichen modernen Medienformaten als gute Beispiele.
Nichts hält Hilscher von einer pauschalen Medienschelte, die auf die Glaubwürdigkeit des Journalismus allgemein zielt. Dass Redaktionen in Deutschland angeblich eher links ticken und sich diese politische Tendenz in den Beiträgen niederschlagen soll, hält er für „ein Märchen“. Seriöse Studien würden die Unterstellung vom angeblichen Wandel der journalistischen Rolle vom unabhängigen Beobachter zum weltanschaulichen Akteur nicht bestätigen. Tendenziöser Journalismus werde durch den mächtigen Widerhall in den sozialen Medien schneller entlarvt als je zuvor. Durch gute Nachwuchsausbildung bleibe der unabhängige und kritisch hinterfragende Journalismus als wichtigstes Gut bewahrt.
Sehr kritisch sieht Hilscher das „moderne Raubrittertum“ der großen US-Plattformen wie Google, Facebookund Co. Deren sozialen Kanäle und KI-Angebote kaperten die Inhalte von bezahltem Journalismus und erzielten mit diesem dreisten Diebstahl geistigen Eigentums Milliardengewinne. Es sei dringend geboten, diese Konzerne europäischen Regeln zu unterwerfen, fordert der BDZV-Vorstandsvorsitzende. Während deutsche Medienhäuser für Wahrheitsgehalt und Richtigkeit von journalistischen Beiträgen rechtlich geradestehen müssten, kämen Anbieter wie Instagram, TikTok und Facebook mit dem Argument davon, für die Inhalte nicht verantwortlich zu sein. Diese Wettbewerbsverzerrung sei für Qualitätsmedien existenzbedrohend. Die auf US-dominierten Plattformen von Algorithmen gesteuerte Nachrichtenauswahl gefährde im Grunde die Demokratie, machte Hilscher deutlich, wenn gezielt platzierte Fakenews und überprüfte seriöse Nachrichten nicht mehr zu unterscheiden sind. Politiker in Deutschland und in ganz Europa sollten nach Ansicht des BDZV-Vorstandsvorsitzenden ein urdemokratisches Interesse daran haben, Qualitätsjournalismus zu schützen und zu bewahren.
Alfred Schmidt
Foto: Wolfgang Bublies
