Die Arbeit ist mehr geworden, deutlich mehr. Stellt Sascha Borowski fest, seit zehn Jahren Mitglied des Presserates und seit März ebendort Vorsitzender des Spezial-Beschwerdeausschusses für Angelegenheiten wie Schleichwerbung. Jetzt war Borowski, Chief Digital Editor und Redaktionsleiter der Allgäuer Zeitung in Kempten, zu Gast beim Talk im Presseclub-Gewölbe, um darüber zu berichten, „wenn die Presse am Pranger steht.“
Dass es mehr Beschwerdefälle werden, die dem Presserat – zuständig für Print- und Online-Publikationen – zur Entscheidung vorgelegt werden, führt Borowski nicht allein darauf zurück, dass es mehr Medienprodukte werden, die sich der Aufsicht durch den Presserat unterstellen. Immer wieder, wenn sich die Mitglieder des Rates mit betreffenden Redaktionen ins Benehmen setzten, sei zu hören, dass (mögliche) Fehler aufgrund von zunehmender Eile in den Redaktionen, Personalknappheit oder Ähnlichem passierten. Ob es am Ende eines Jahres 2000 Eingaben seien oder 2500, das, so Borowski schwanke. Dass aber am Ende des Jahres „nur“ etwa 80 öffentlich erteilte Rügen stünden, zeige, wie weit sich Probleme im Vorfeld bereinigen ließen.
Im Vorfeld einer Rüge, dem schärfsten Schwert des Rates, stehen der „Hinweis an Redaktion“ und als zweiter Schritt die „Missbilligung.“ Beschwerden an den Presserat müssten über ein entsprechendes Formular im Internet formuliert werden. Dies werden sie erfahrungsgemäß, so Borowski, oftmals dann, wenn die Beschwerdeführer mit ihrer Redaktion direkt nicht einig werden. Borowski nannte Beispiele aus seiner Tätigkeit, die den schmalen Grat zeigen, auf dem sich der Presserat bewegt. Etwa, wenn es um die Kennzeichnung von bezahlter Berichterstattung, Werbung, Schleichwerbung geht. Reicht da ein kleines „Verlagsveröffentlichung“ oder Ähnliches am Seitenrand? Reicht ein Kasten rund um den Text? Reicht ein anderer Schrifttyp, um für den Leser klarzumachen, dass es sich bei dem vorliegenden Text um Werbung handelt? Regelmäßig gebe es hier in seinem in der Regel quartalsweise tagenden Presserats-Ausschuss zu diskutieren.
Der Deutsche Presserat bezeichnet sich als die Freiwillige Selbstkontrolle der Print- und Onlinemedien in Deutschland. Er tritt nach eigener Darstellung für die Einhaltung ethischer Standards und Verantwortung im Journalismus ein sowie für die Wahrung des Ansehens der Presse. Als Selbstkontrolle verteidige der Presserat die Pressefreiheit gegen Eingriffe von außen. Grundlage des Verbandes ist der sogenannte Pressekodex mit 16 Ziffern zwischen „Sorgfalt“ und „Vergünstigungen“. Basis des Presserats ist ein eingetragener Verein. Diesem gehören zwei Verleger- und zwei Journalistenorganisationen an, nämlich der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) und der Deutsche Journalisten-Verband (DJV), sowie die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di und der Medienverband der freien Presse MVFP. Diese vier Organisationen entsenden jeweils sieben Mitglieder in die vier Beschwerdeausschüsse des Rates. Neben den ehrenamtlich tätigen Presseräten hat der Verband in Berlin eine Geschäftsstelle mit festen Angestellten. Finanziert wird die Arbeit des Presserats aus zwei Quellen: Zum einen entrichten die Trägerverbände Beiträge. Zum anderen gewährt der Bund seit 1976 jährlich einen zweckgebundenen Zuschuss für die Arbeit des Beschwerdeausschusses.
Im Rahmen des Clubgesprächs, das Presseclub-Vize Andreas Schmidt moderierte, wurden vor allem mehr oder weniger bekannte Fälle aus den vergangenen Jahren und Jahrzehnten diskutiert, in die auch der Presserat eingebunden war. Es ging etwa um die Veröffentlichung von Fotos der Opfer eines Flugzeugabsturzes, um „Aiwanger“, aber auch um die Barschel-Affäre“.
Michael Siegel
